Von den Hafenarbeitern lernen

Interview mit Gerald Kemski, ehemaliger Vertrauensleutesprecher (ÖTV und ver.di) in einem Hamburger Hafenbetrieb, über die Erfahrung im europaweiten Widerstand der Hafenarbeiter gegen das „Port Package“

2005 sorgte ein EU-Richtlinienentwurf (Port Package) bei den europäischen Hafenarbeitern für Unruhe. Was genau war damit beabsichtigt?

Das Hauptaugenmerk galt natürlich der beabsichtigten Durchführung des Hafenumschlages durch Seeleute anstatt durch Hafenarbeiter. Gleichzeitig sollten alte Umschlagsbetriebe mit den sozialen Standards durch neue ersetzt und auch weitere Hafendienstleistungen (Lotsen usw.) liberalisiert werden.

Wie reagierten die betroffenen KollegInnen darauf?

Vor allem das erste Ansinnen, Umschlagstätigkeit durch Seeleute durchführen zu lassen, war allen sehr schnell einsichtig und ein wirksames Mobilisierungsinstrument.

Internationale Koordination der gewerkschaftlichen Kämpfe gilt als schwierig, weil es nationale Traditionen und Besonderheiten gibt und nicht überall politische Streiks üblich sind.

Es gibt bei der ETF (Europäische Transportarbeiterföderation) ein geflügeltes Wort: „Sage uns nicht, was Du nicht kannst, sondern welchen Beitrag Du leisten kannst.“ Unter diesen Bedingungen wurden nicht nur ge­meinsame Demonstrationen in Rotterdam und Straß­burg durchgeführt, sondern auch reale betriebliche Kampfaktionen, um den notwendigen Druck auszuüben. Das reichte dann eben von der Be­triebsversammlung in Gdansk (Polen) über mehrstün­dige Informationsveranstaltungen auf den Hamburger Terminals über drei Schichten (zu einem politischen Thema!) bis zu einem 72-Stunden-Streik in Antwerpen. Bei uns im Hamburg bedeuteten die Informationsveran­staltungen, dass auf den Container-Terminals 24 Stun­den lang nicht gearbeitet werden konnte.

Am Ende stimmten viele Abgeordnete der konservativen Mehrheit gegen das Paket und gegen die EU-Kommission. Wie kam das?

Zum einen die konzentrierte positive Lobbyarbeit in na­hezu allen Ländern mit Hafenumschlag. Den einzelnen Abgeordneten wurde klar gemacht, worüber sie über­haupt abstimmen. Zum anderen haben natürlich die Kampfaktionen in den verschiedenen Ländern Einfluss ausgeübt. Wenn also in Antwerpen, dem größten Hafen Belgiens, 72 Stunden gestreikt wird, hat es dort seine Wirkung selbst auf die liberalen belgischen Abgeordne­ten, die in unserem Sinne abgestimmt haben. Etwas, was für die Bundesrepublik undenkbar wäre. Wichtig dabei ist auch, dass es im Europaparlament schon zum Zeitpunkt dieser Abstimmung eine deutliche rechte Mehrheit gab. Trotzdem waren wir erfolgreich.

Damals gab es Tagesthemen-Berichte, die Sympa­thie weckten. Wie kam das zustande?

Ich denke, dass von Hafenarbeitern bekannt ist, dass sie das ganze Jahr nahezu rund um die Uhr arbeiten und eine zentrale Rolle bei der Versorgung der Länder spielen. Das bringt schon Sympathie. In Städten wie Antwerpen sind die „Docker“ schon seit Jahrzehnten auch Symbol politischen Widerstandes und haben so­gar ein eigenes Denkmal.

Manche meinen, der Kampf gegen das Port Package wäre auf den Kampf der EisenbahnerInnen gegen das Re­cast nicht übertragbar.

Mit Sicherheit haben die Hafenarbeiter für die Versor­gung der Volkswirtschaften eine noch konzentriertere Bedeutung als die EisenbahnerInnen. Sie arbeiten an einem Flaschenhals des Transportsektors. Um es deut­lich zu machen: Wenn an den Container-Terminals des Hamburger Hafens eine Woche lang keine Überstun­den genehmigt werden, wird die Elbe zum Parkplatz für Schiffe. Aber auch die EisenbahnerInnen haben ein nicht viel geringeres Druckpotential. Wenn drei Tage bestimmte Güterzüge nicht fahren, kommt es zu Eng­pässen in der Automobilindustrie, um nur ein Beispiel zu nennen. Auf betriebliche Information und betriebliche Aktionen zu verzichten, ist für mich gleichbedeutend mit der Haltung, dass der Kampf nicht gewonnen werden kann. Die rechte Mehrheit im EU-Parlament muss unter Druck gesetzt werden, sonst gibt es keinen Erfolg. Ak­tuell merken wir ja an dem Bericht der Berichterstatterin Frau Serracchiani von der sozialdemokratischen Frakti­on, dass selbst diese unter Druck gesetzt werden muss.

Was können EisenbahnerInnen aus dem Kampf der HafenarbeiterInnen lernen?

Erstens man muss an alle nationalen Abgeordneten herantreten und sie informieren, d.h. nicht nur Briefe schreiben, sondern wirklich reden. Die Information muss vor Ort in die Betriebe und es muss zu betriebli­cher Mobilisierung kommen. In diesem Fall muss dies vor allem in den großen Ländern, nämlich der Bundes­republik Deutschland und in Frankreich, passieren. Sonst hat es keine Wirkung. Umgesetzt auf die Häfen würde es bedeuten, man würde Rotterdam, Le Havre, Antwerpen, Bremerhaven und Hamburg aus den Aktio­nen heraus lassen. Dann könnte man es gleich bleiben lassen.

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V.i.S.d.P.:Hans-Gerd Öfinger

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