Unsere Antwort an Peter Nowack
Die Mitglieder müssen sich ihre eigene Meinung bilden 

Für eine kritische, kontroverse und faire Diskussion

 

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An den Kollegen Peter Nowack
Bremen

23. April 2004 

Lieber Kollege Nowack,

vielen Dank für Deinen Brief, den wir in unserer Homepage eingestellt haben. Die von Dir angesprochenen Fragen wollen wir gerne aufgreifen.

Ist der Beschluss der Betriebsräte in Karlsruhe kein 'Erfolg für die Initiative Bahn von  unten'?

Dem Beschluss von Karlsruhe lag ein Antrag aus Hessen/Rheinhessen zu Grunde, der aus der Diskussion in der Initiative Bahn von unten heraus entstanden war und bei der Bezirksbetriebsrätekonferenz verabschiedet wurde. Insofern wäre der Karlsruher Beschluss ohne die konsequente Arbeit von „Bahn von unten“ in den letzten Jahren gar nicht erst zu Stande gekommen. Das Echo auf unsere Veröffentlichungen zeigt: viele haupt- und ehrenamtlich tätige Kolleginnen und Kollegen unterstützen unsere Ziele und Anliegen und sind eindeutig gegen Börsengang.

Ist der Beschluss eine Meinungsäußerung gegen Norbert Hansen?

Der Beschluss ist keine Meinungsäußerung für oder gegen einzelne Personen, sondern eine Meinungsäußerung zur Sache. Personalfragen spielten in der Antragsdebatte keine Rolle. Tatsache ist auch: Die Delegierten wussten, dass Norbert Hansen den Inhalt des Antrags nicht unterstützt, aber sie bildeten sich in dieser wichtigen Sachfrage eben ihre eigene Meinung.

Gerüchte und Hörensagen durch die Welt geblasen?

In unseren Veröffentlichungen (Homepage, Flugblätter) haben wir nie solche Gerüchte verbreitet. Dies ist auch nicht unser Stil. Natürlich sind auch uns solche Gerüchte zu Ohren gekommen. Wenn Du uns bestätigen kannst, dass an diesen Gerüchten rein gar nichts dran ist, dann freut uns das umso mehr. Es wäre schlimm genug gewesen, wenn sich in unserer Gewerkschaft solche Schröder´schen Erpressungsmethoden (Verknüpfung der Vertrauensfrage mit politischen Entscheidungen) eingeschlichen hätten.

Hat die Konferenz die Inhalte des Antrags nicht voll inhaltlich übernommen?

Auf Gewerkschaftskonferenzen wird seit Generationen nicht über diese oder jene Interpretation oder mündliche bzw. schriftliche Begründung von Anträgen abgestimmt, sondern über den vorgelegten schriftlichen Antragstext. Die Delegierten hatten in den Wochen vor der Konferenz Zeit genug, um den Antrag zu lesen und sich eine Meinung zu bilden. Das Abstimmungsverhältnis war eindeutig. Wer einzelne Punkte des Antrages nicht unterstützen konnte und andere Punkte für richtig hielt, hätte die Möglichkeit gehabt, eine getrennte Abstimmung über einzelnen Punkte zu verlangen. Dies ist nicht erfolgt. Die Delegierten stimmten bei vollem Bewusstsein und gegen den Rat der Antragskommission mit 78: 45 Stimmen (=63%) für diesen Antrag. Es war ihnen auch bewusst, dass der HV in dieser Frage eine andere Position vertritt.

Mit Konsensgesprächen eine Kanzlerin Merkel verhindern?

Der Begriff "Schmusekurs" wurde von Norbert Hansen in Karlsruhe aufgegriffen und ist in unseren Veröffentlichungen seit langem nicht mehr vorgekommen. Wir sind natürlich nicht gegen Gespräche mit der Regierung und den Versuch einer Einflussnahme. Aber wir stellen fest, dass die Regierungen in Bund und Ländern zunehmend "immun" gegen gewerkschaftliche Einflussnahme geworden sind und nicht auf die Gewerkschaften, sondern auf Unternehmerverbände und neoliberale "Berater" hören. Daher bleibt den Gewerkschaften nichts anderes übrig, als Widerstand zu leisten und Druck auszuüben. Die Massendemonstrationen am 3. April waren da erst ein Anfang.

Norbert Hansen kennt den Kanzler seit gemeinsamen Juso-Zeiten vor über 25 Jahren. Wenn jetzt selbst dieser direkte Draht und „kurze Dienstweg“ nicht mehr ausreicht, um die Regierung durch Zureden und Überzeugungsarbeit vom drohenden Börsengang und Sozialabbau abzubringen, dann brauchen wir offensichtlich ganz andere Druckmittel.

Eine Regierung mit Leuten wie Merkel, Merz, Westerwelle, Stoiber, Glos und Co. wünscht sich keiner von uns. Aber wenn Schröder so weiter macht, liefert er ihnen eine Ballvorlage nach der anderen und macht ihnen den Wahlsieg ziemlich einfach, weil viele gar nicht mehr wählen gehen. Viele Eisenbahner wissen noch, dass der erste Verkehrsminister von "Rot-Grün" Franz Müntefering hieß und den unter Kohl eingeleiteten Verkauf der Eisenbahnerwohnungen weiterführte. Deswegen sind damals sogar gestandene Transnet-Funktionäre aus der SPD ausgetreten. Kein Wunder, dass sich heute bei unseren Kolleginnen und Kollegen kein "Münte-Effekt" einstellen will.

Wenn Du einen besseren Draht zu Regierungspolitikern haben solltest als wir, dann mach ihnen klar: Stoppt die "Agenda 2010" und all die anderen sozialen Grausamkeiten und macht sie wieder rückgängig! Stoppt die Vorbereitungen für den Börsengang der Bahn und stoppt die Umverteilung des Vermögens von unten nach oben! Stellt Euch an die Seite der Gewerkschaften und sozialen Bewegungen! Nur so habt ihr noch eine Chance, einen Durchmarsch der CDU/CSU zu verhindern!

"Entpolitisierung" und Verwirrung der jüngeren Generation

Deine Beschreibung ist realistisch. Leider sind in den letzten Jahren auch weite Teile der Gewerkschaften dem neoliberalen "Mainstream" gefolgt und haben entsprechende Illusionen (etwa in die Privatisierung) gefördert. Leider haben sich Anfang der 90er Jahre auch manche in unserer eigenen Gewerkschaft von den Sirenenklängen der Privatisierer um Heinz Dürr anstecken lassen und daran geglaubt, dass durch eine Privatisierung und zunehmende Zerschlagung der Bahn und eine Liberalisierung des Schienenverkehrs eine Wende zum Guten für uns alle eingeleitet werden könnte.

Dass es aber auch anders gehen kann und nicht alles grau in grau und hoffnungslos ist, zeigt der Hamburger Bürgerentscheid vom 29. Februar 2004. An diesem Tag sind 76,8% der Wähler dem Rat der DGB-Gewerkschaften gefolgt und haben gegen die Privatisierung landeseigener Krankenhäuser gestimmt. Es geht also, aber nur dann, wenn die Gewerkschaften eine klare Gegenposition beziehen, "Nein" sagen und dabei auch den Verlockungen von "Konsensgesprächen" mit Politikern widerstehen, die uns nur weich klopfen und über den Tisch ziehen wollen. 

Der Gewerkschaftstag im November muss und wird den Kurs entscheiden

Auch wir freuen uns auf die Diskussion im Vorfeld des Gewerkschaftstages und werden uns mit Zahlen, Fakten und Argumenten engagiert an der ab sofort laufenden Debatte "pro und contra Börsengang" beteiligen. Nichts spricht für einen Börsengang – oder man zeige uns mal das Land, in dem es zur Zufriedenheit der Eisenbahner und Allgemeinheit funktioniert hat. Damit es aber auch eine faire innergewerkschaftliche Debatte gibt (und die Mitglieder nicht nach der „Methode Schröder“ mit dem Totschlagargument "Zu unserem Kurs gibt es keine Alternative" schon vorab breitgeschlagen werden), müssen die vorhandenen Alternativpositionen (etwa der Karlsruher Beschluss, andere vorhandene Positionspapiere, die von der HV-Linie abweichen, die Hintergrundartikel auf der Bahn von unten-Homepage) allen Mitgliedern (über inform, TransnetThemen und transnet.org) bekannt gemacht werden. Der Internet-Auftritt www.transnet.org sollte ab sofort auf die Homepage www.bahnvonunten.de verweisen, damit sich die Mitglieder ihre eigene Meinung bilden können. Wer unsere Positionen vorab als „realitätsfremd“ und „dogmatisch“ abqualifiziert, tut sich selbst und unser gemeinsamen Sache keinen Dienst.

Sachdiskussion statt Polemik – Zukunft mit Norbert Hansen

Wo haben wir jemals polemisiert und den Boden einer Sachdiskussion verlassen? Wir haben immer strikt sachlich argumentiert und die gewerkschaftspolitische Diskussion nie personalisiert. In mehreren persönlichen Gesprächen mit Norbert Hansen und HV-Mitarbeitern haben Vertreter der Initiative „Bahn von unten“  klargestellt, dass es uns nicht darum geht, einzelnen HV-Mitgliedern am Stuhl zu sägen oder den Vorsitzenden zu demontieren. Kollege Hansen hat 2001 in einem offenen Brief an uns festgestellt:
„Mit Interesse "besuche" ich hin und wieder eure Homepage. Dass es kritische Stimmen auch zur Politik der TRANSNET gibt finde ich gut. Das zeigt u.a., dass die innergewerkschaftliche Demokratie funktioniert und wir keine Spalter zur Motivation brauchen.“
Umso mehr hat es uns allerdings befremdet, als Norbert Hansen am 31. März in Karlsruhe plötzlich unsere Initiative namentlich nannte und polemisch angriff. Wenn von der Basis Loyalität zum gewählten Vorsitzenden verlangt wird, dann muss die Basis vom Vorsitzenden auch die Loyalität zu den gefassten Beschlüssen des Gewerkschaftstages einfordern können. Und nach wie vor gilt die Beschlusslage, über die sich auch der Vorsitzende nicht eigenmächtig hinwegsetzen kann: wir sind für den Erhalt einer bundeseigenen und einheitlichen Deutschen Bahn.

Bündnis mit unseren Gegnern?

Wer hat sich wo mit Leuten verbündet, "die nicht unsere Freunde sind"? Steckt dahinter vielleicht der (wider besseres Wissen gestreute) Vorwurf, kritische Transnet-Mitglieder betrieben eben durch die Äußerung von Kritik das Geschäft der gewerkschaftlichen Konkurrenz GDL? Sollen wir lieber ängstlich den Mund halten, weil sonst die "Gefahr" besteht, dass die GDL mitkriegt, dass wir innergewerkschaftlich kontrovers über Sachfragen diskutieren? Eine solche Argumentation trifft voll daneben und erinnert an die frühere DDR, wo selbst konstruktive Kritik an bestimmten bürokratischen Zuständen immer gleich in den Verdacht kam, vom Klassenfeind gesteuert zu sein.

Dass uns in unserem Kampf kein Beamtenbund hilft, versteht sich von selbst und ist von uns immer wieder ausführlich begründet worden. Vor Demagogen wie Schell brauchen wir uns nicht zu fürchten. Schell hat im Bundestag selbst für die Post-Privatisierung gestimmt und im DR-Verwaltungsrat die Teilprivatisierung des Weichenwerks Brandenburg abgenickt.

Wenn Basismitglieder der GDL und Unorganisierte von unseren innergewerkschaftlichen Diskussionen erfahren, so kann dies keinesfalls unserer Organisation, unserer Sache und dem Interesse aller Eisenbahner schaden. Im Gegenteil: wir sollten auf die "einfachen" GDL-Kollegen - wo immer wir ihnen im Arbeitsalltag begegnen - offensiv zugehen und ihnen sagen:

„Seht her, GDL-Kollegen, wir sind im DGB organisiert und haben am 3. April mit 500.000 gegen Sozialabbau demonstriert. Und Ihr steht abseits! Seht her, wir kämpfen in unserer Organisation gegen die "Mitgestaltung" des Börsengangs. Seht her, in unserer Organisation ist eine breite, kritische, kontroverse und faire Diskussion über unser aller Zukunft nicht nur geduldet, sondern ausdrücklich erwünscht. Wir haben eine selbstbewusste Basis und brauchen in der Transnet keinen Ober-Lock-„Führer" wie Schell, der allein die Linie vorgibt und dem alle blind folgen müssen.

Wenn Ihr als GDL-Mitglieder schon nicht in unsere Organisation eintreten wollt, dann sorgt doch wenigstens in eurem Verein für eine klare Ablehnung des Börsengangs und einen gemeinsamen Widerstand aller Eisenbahner, so wie wir das in unserer Gewerkschaft tun.“

In diesem Sinne blicken wir einer solidarischen innergewerkschaftlichen Diskussion über den Börsengang und andere brennende Zukunftsfragen erwartungsvoll entgegen.

Mit kollegialen Grüßen

Das Bahn-von-unten-Team

www.bahnvonunten.de

 


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