Internationale Netzwerke gegen kapitalistische Globalisierung
Wir trafen Kollegen aus Frankreich

 

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"Es ist wieder leichter geworden, über radikale emanzipatorische Kritik an den bestehenden Verhältnissen  sowie über Internationalismus zu sprechen. Dies schien noch vor 10 Jahren aus den meisten politischen Auseinandersetzungen verschwunden zu sein", stellte TIE-Koordinator Jens Huhn zu Beginn der 5. Internationalen Arbeitskonferenz fest, die unter dem Motto "Eine andere Welt ist möglich - Für eine neue Arbeiterbewegung" am Wochenende in Oberwesel (Rheinland-Pfalz) stattfand.

Aus allen Kontinenten waren 160 Gewerkschaftsaktivisten an den Mittelrhein gekommen, um Ideen und Erfahrungen auszutauschen, neue Kontakte zu knüpfen und bestehende zu vertiefen. Neben Plenumsdiskussionen hatte die Tagesordnung ausreichend Zeit für Arbeitskreise und ad-hoc Diskussionen vorgesehen.

Das Netzwerk TIE (Transnational Information Exchange) war vor 25 Jahren in Amsterdam gegründet worden und unterstützt einen weltweiten Informations- und Erfahrungsaustausch zwischen Gewerkschaftsaktivisten, Lohnabhängigen, Frauen- und Menschenrechtsgruppen. Es unterhält heute weltweit mehrere Büros und hat Koooperationspartner in aller Welt. In diesem Rahmen bestehen seit Jahren internationale Netzwerke von Automobilarbeitern, Chemiearbeitern, öffentlichen Bediensteten und gewerkschaftlichen Basisinitiativen.

Themen wie der Konflikt um die Handelskette Metro in der Türkei, die Organisation von prekär Beschäftigten und neue Organisierungsstrategien in China wurden bei der Tagung   ebenso behandelt wie Strategien gegen eine Spaltung der Belegschaften in traditionellen gewerkschaftlichen Hochburgen, Streiks in Betrieben ohne gewerkschaftliche Tradition und Fragen der Gesundheitsbelastung im Zusammenhang mit neuen Managementstrategien.

Wie sich Lohnabhängige im Norden und Süden mit den Folgen der kapitalistischen Globalisierung und neoliberalen Offensive seit den 90er Jahren auseinandersetzen, machten Redebeiträge aus verschiedenen amerikanischen Ländern deutlich. 

Saladin Mohammed von der Organisation "Black Workers for Justice" erläuterte die Schwierigkeiten und Hindernisse bei der Organisierung von afroamerikanischen und aus Lateinamerika eingewanderten Arbeitern, die in großer Zahl im Niedriglohnsektor der USA tätig sind.

Aus Kolumbien, dem Land, auf das in den letzten Jahren rund drei Viertel aller weltweit verübten Mordanschläge gegen Gewerkschafter entfielen, war der internationale Sekretär der Lebensmittelarbeitergewerkschaft Sinaltrainal, Edgar Paez, angereist, der selbst bei einer Entlassungswelle des Nestlé-Konzerns seinen Arbeitsplatz verloren hatte. Er schilderte die Verstrickungen von Konzernen wie Nestlé und Coca Cola in solche Attentate, Entführungen, Morddrohungen und andere Einschüchterungsversuche gegen aktive Mitglieder seiner Organisation und deren Familien durch paramilitärische Banden und warb für tatkräftige internationale Solidarität bei der weltweiten Informationskampagne von Sinaltrainal speziell gegen diese beiden Konzerne. Nestlé vernichte mit großem Eifer in Kolumbien alle tarifgebundenen Arbeitsplätze und habe sich bisher wiederholt geweigert, kolumbianische Gewerkschaftsvertreter überhaupt zum Gespräch in der Schweizer Konzernzentrale zu empfangen.

Aus erster Hand konnten zwei argentinische Aktivisten über die nunmehr seit fast zwei Jahren andauernden Fabrikbesetzungen und Arbeiterkontrolle im Betrieb berichten. "Wir sind freier geworden, können jetzt im eigenen Betrieb die Meinung äußern und arbeiten besser", berichtete Gladys Figueroa von der besetzten Textilfabrik Brukman in Buenos Aires: "Wir können den Betrieb alleine führen und verwalten, der alte Chef hat noch nie an einer Maschine gearbeitet." Auch Raul Godoy von der patagonischen Keramikfabrik Zanon zog eine positive Bilanz: "Obwohl in vielen Büchern behauptet wird, die Arbeiterklasse könne nicht mehr kämpfen, haben wir bewiesen: wir können den Reichtum des Landes alleine produzieren und brauchen dazu keine Chefs."

Um die Produktion besetzter Betriebe im Interesse der Allgemeinheit weiterzuentwickeln und die überlebensnotwendige Solidarität von außen zu sichern, werden in beiden Betrieben inzwischen bei der Produktionsplanung gesellschaftliche Bedürfnisse berücksichtigt. So stellt Brukmann jetzt auch Bettücher für Krankenhäuser her, und die Zanon-Belegschaft will mit ihren Produkten dem sozialen Wohnungsbau im Interesse der ärmsten und obdachlosen Bevölkerungsschichten dienen. Beide riefen die europäische Arbeiterbewegung zu konkreter Solidarität auf, denn schließlich sei etwa die besetzte Brukman-Fabrik von Brennstofflieferungen wie auch Ersatzteilen abhängig, die sich in der Hand europäischer  Konzerne befinden.

Die rund 50 Konferenzteilnehmer aus allen Teilen Deutschlands beteiligten sich intensiv an Diskussion und Austausch. So besprachen Basisaktivisten aus dem DaimlerChrysler-Konzern ihr Projekt einer internationalen Betriebszeitung.

In Rahmen des Projekts "ExChains", das sich u.a. mit der Produktionskette der Textilindustrie befaßt, ging es um den Austausch zwischen Textilverkäuferinnen aus Baden-Württemberg und Textilarbeiterinnen aus Bangla Desh und Sri Lanka. Ein Betriebsrat aus der deutschen Lebensmittelindustrie will sich nach dem Gespräch mit seinem kolumbianischen Kollegen von der Sinaltrainal in der deutschen Lebensmittelgewerkschaft NGG für uneingeschränkte Solidaritätsmaßnahmen einsetzen. Vertreter unserer Initiative "Bahn von unten" trafen erstmals auf Vertreter der französischen Bahn-Gewerkschaft SUDRail und vereinbarten intensive Kontakte.

Bei all diesen konkreten Diskussionen, so hatte Jens Huhn einleitend festegestellt, gehe es darum, "alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist" (Marx). Heute gebe es zwar nicht die große, alle umfassende neue Internationale, es gebe aber doch organisatorische Kerne: "Einer davon ist TIE mit seinen Projekten, andere sind jene international arbeitenden betrieblichen und sektoralen Netzwerke, mit denen TIE zusammenarbeitet."

Hans-Gerd Öfinger

www.bahnvonunten.de

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