Berliner S-Bahner packen aus:
Wie der Gewerkschaftsapparat gezielt engagierte Privatisierungsgegner und Vertrauensleute bekämpft und warum unsere TRANSNET in der tiefsten Krise ihrer Geschichte steckt

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Jürgen Raßbach und Andreas Tannhäuser

Interview mit Andreas Tannhäuser (AT, im Bild rechts), langjähriger Betriebsratsvorsitzender bei der S-Bahn Berlin, Mitglied im TRANSNET-Hauptvorstand, Mitglied im Landesvorstand der Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen in der SPD Berlin, und Jürgen Raßbach (JR, im Bild links), 2. Sprecher des TRANSNET-Vertrauensleutekörpers bei der S-Bahn Berlin. Das Gespräch führte Hans-Gerd Öfinger (HGÖ).


HGÖ: Vor einem Jahr erregte eine groß angelegte Kampagne „Rettet die S-Bahn“ über Berlin hinaus Aufsehen. Wie ist die aktuelle Lage der Berliner S-Bahn?

AT: Die Berliner S-Bahn ist eine GmbH und 100prozentige Tochter der DB AG. Bis zum 31.12.2006 galt für uns ein spezieller Haustarifvertrag und damit einhergehend ein Geflecht von Betriebsvereinbarungen. Jetzt wurde Ende 2006 der Haustarifvertrag durch die aktive Mitwirkung der TRANSNET zerschlagen und komplett in den Tarifverträgen im Konzern Deutsche Bahn aufgelöst. Die S-Bahn ist keine eigenständige DB-Tochter mehr, sondern ein Teil von DB Stadtverkehr – wie etwa die Münchner oder Hamburger S-Bahn. Und da fängt für uns der Schaden an. Denn der alte Haustarifvertrag beinhaltete noch ein betriebliches Bündnis mit der Absenkung der Arbeitszeit auf 35 Stunden und ein Sozialpaket, wonach bis 2010 betriebsbedingte Kündigungen ausgeschlossen wurden. Dies konnten wir DB-Chef Mehdorn mit dem Droh-Szenario abringen, dass bei der Fußball-WM keine Züge fahren. Die Tarifgemeinschaft TRANSNET-GDBA ist mit der Dampfwalze darüber gefahren und hat die betriebliche Tarifkommission komplett überfahren. Die DB hat die S-Bahn wieder in ihre totale Verfügungsgewalt zurückgeholt. Die bisherige relative Eigenständigkeit des S-Bahn-Managements besteht nicht mehr. Wir standen noch 2006 vor dem Szenario eines Abbaus von 880 Arbeitsplätzen bis 2010. Dafür haben wir ein betriebliches Bündnis geschnürt mit Maßnahmen wie Vorruhestand, Abfindungsregelungen etc. Man nannte die Berliner S-Bahn immer das „gallische Dorf“, weil wir versucht haben, uns einzuigeln. Wir haben gesagt: Wir wollen in Berlin unseren Traditionsbetrieb als integriertes Nahverkehrsunternehmen aufrechterhalten. Und damit ist es jetzt vorbei.

Mit der Eingliederung in der konzernweiten Beschäftigungssicherungstarifvertrag (BeSiTV) wurde die Arbeitszeit von 35 auf 39 Stunden angehoben. Dies bringt den Abbau von  weiteren 640 Arbeitsplätzen zusätzlich zu den 880 bereits erwähnten Arbeitsplätzen, so dass noch in diesem Jahr 1520 Arbeitsplätze abgebaut werden sollen. Damit, so die Begründung, will man die S-Bahn gemäß des Verkehrsvertrages mit dem Land Berlin auf den Wettbewerb vorbereiten, der vorsieht, dass von 2008 an 30 Prozent der Verkehrsleistungen am Markt ausgeschrieben werden. Also soll die S-Bahn so „schlank“ gemacht werden, dass sie im „Wettbewerb“ mithalten kann. So verschiebt man dann eben über den BeSiTV diese 1500 Arbeitsplätze irgendwo in den DB-Konzern, viele Kollegen ohne Arbeit landen dann bei dem konzernweiten DB-Job-Service und bei der Reinigung in DB Services in Niedriglohnbereichen. Hier wird qualifizierte Arbeit zerstört. Handwerker müssen dann unter Umständen auch Reinigungsarbeiten machen.

Mit der Aktion „Berliner, schützt Eure S-Bahn“ haben wir in der Öffentlichkeit und Politik um Unterstützung geworben und sammelten in kürzester Zeit 51.000 Unterschriften. Aus dem Petitionsausschuss des Landes Berlin erhielten wir unbefriedigende Antworten. Allerdings konnten wir eine wichtige Aussage festklopfen, denn im neuen Koalitionsvertrag für 2006-2001 spricht sich das Land Berlin gegen einen Börsengang der Bahn und für den Verbleib der DB im öffentlichen Besitz aus. Ein entsprechender Antrag wurde über die AfA in den SPD-Landesparteitag eingebracht und dort beschlossen und fand somit durch den Flankenschutz aus der Linkspartei.PDS Eingang in den Koalitionsvertrag.

Uns nun kommt die Krux: Vor der Wahl hatten wir als politisch aktive Betriebsräte ein intensives Gespräch mit Wirtschaftssenator Harald Wolf und besprachen dabei mit ihm eine Strategie, wie wir den Hebel ansetzen können, um den drohenden Arbeitsplatzabbau zu stoppen. Der Senat schützt bekanntlich bis 2020 die Berliner Verkehrsgesellschaft (BVG), einen Eigenbetrieb Berlins, vor dem Wettbewerb. Dies war so mit ver.di ausgehandelt worden, natürlich auch unter Zugeständnissen. Analog besteht bei der BVG bis 2020 eine Kündigungsschutzklausel. Wir forderten, dass man die S-Bahn nicht klein machen, sondern mindestens auch so behandeln müsse wie die BVG. Es ist unfair, so die einstimmige Betriebsratsforderung, uns ab 2008 dem Wettbewerb auszusetzen. Das Angebot des Senats wäre gewesen: die S-Bahn aus Wettbewerb ab 2008 herauszunehmen und im Gegenzug durch Verkehrsvertrag für die S-Bahn eine Laufzeit bis 2017 zuzusichern und somit die Arbeitsplätze zu halten. Das zumindest war eine Überlegung von Harald Wolf. Auch der zuständige Organisationssekretär von TRANSNET erfuhr dies.

Die Geschäftsführung der S-Bahn jedoch winkte im Wirtschaftsausschuss ab und sagte: Das ist so vom DB-Konzern nicht gewollt. Wir wollen in den Wettbewerb und wir wollen den Personalabbau. Diese Chance, die sich politisch entwickelt hätte und die für das Land Berlin kostenneutral gewesen wäre, hat der DB-Konzern bewusst nicht gewollt. Uns hat man demgegenüber vor wenigen Jahren noch in den Betriebsversammlungen gesagt: Ihr seid ein gesundes Unternehmen und schreibt schwarze Zahlen und euch kann nichts passieren. Die Kolleginnen und Kollegen haben das geglaubt, viele haben sich verschuldet und Grundstücke gekauft und stehen jetzt vor dem Aus. Wenn jetzt die Arbeitsplätze verschwinden und der BeSiTV greift, müssen viele unter Umständen nach Saarbrücken oder München gehen. Unser betriebliches Bündnis war so konstruiert, dass die Leute hier in Berlin Arbeit haben. Dieses betriebliche Bündnis ist jetzt mit Hilfe von TRANSNET zerschlagen worden.

JR: Wir haben in der Vergangenheit zwei Gewerkschaftstage gebraucht, um in unserer Gewerkschaft erst einmal die Statuten für Vertrauensleutearbeit zu installieren. Als es dann möglich war, organisierte Vertrauensleutestrukturen in den Wahlbetrieben zu entwickeln, hat sich über Wahlen ein Vertrauensleutekörper bei der Berliner S-Bahn aus den aktivsten Kollegen gebildet. Dieser  wurde ein lebendiges Organ und eine Schnittstelle zwischen Kollegen, Gewerkschaft und Betriebsrat. Es bestand eine entscheidende Verzahnung mit dem Betriebsrat. Der Vertrauensleutekörper hatte – ähnlich wie unser Betriebsrat – ein gesundes Selbstbewusstsein und war schon in der Lage, Arbeitsbedingungen im Betrieb mit zu gestalten. Darüber hinaus konnte er auch die Strategien entwickeln, die nicht immer deckungsgleich waren mit den Interessen unserer Gewerkschaftsführung. Das Problem in den letzten Jahren war, dass niemand in der TRANSNET-Ortsverwaltung (OV) Berlin in der Lage war, sich mit diesem Vertrauenskörper gewerkschaftspolitisch auseinanderzusetzen und zu diskutieren, wo wir hin wollen. Stattdessen wurde nach alter und unrühmlicher Methode versucht, die Kritik zu unterdrücken und die Kritiker zu denunzieren. Der zuständige Gewerkschaftssekretär, Herr Andreas Schmidt, vertrat andere Interessen als die der Belegschaft der S-Bahn. Nach der Karlsruher Bundesbetriebsrätekonferenz 2004 hat der Vertrauensleutekörper und der Betriebsrat den Beschluss der Konferenz gegen eine Privatisierung der DB unterstützt und seine Ablehnung eines Börsengangs deutlich formuliert.

AT: Der Betriebsrat hat ebenfalls den Karlsruher Beschluss – zugeschnitten auf Berliner Verhältnisse – bekräftigt.

JR: Spätestens damit fingen der Betriebsrat mit seiner TRANSNET-Mehrheit und der Vertrauensleutekörper an, die Kreise bestimmter Gewerkschaftsfunktionäre zu stören. Doch wir haben uns mit diesem Beschluss öffentlich positioniert und waren überhaupt nicht bereit, diesen öffentlich wieder zurückzunehmen. 2005 fanden die Aufsichtsratswahlen bei der Berliner S-Bahn statt. Es gab dafür keine Hilfe, Orientierung oder Materialversorgung seitens der TRANSNET-OV. Der Vertrauensleutekörper (VK) fragte nach Material und wurde immer nur vertröstet. Das Ergebnis war: Der VK war nicht in der Lage, einen vernünftigen Wahlkampf zu führen. Daher verlor TRANSNET diese Aufsichtsratswahlen mit Pauken und Trompeten. 18 Prozent für TRANSNET-KandidatInnen – das ist eine Schande. Eine gewerkschaftsfeindliche Liste hat die Aufsichtsratswahlen gewonnen. Der zuständige Gewerkschaftssekretär Andreas Schmidt hatte dann bei der nächsten Sitzung der TRANSNET-Fraktion im Betriebsrat nichts Besseres zu tun, als alle KollegInnen, die wenigstens noch einen aktiven Wahlkampf gemacht haben, als Versager und Nullen zu beleidigen. Er persönlich würde dafür sorgen, dass die nächste TRANSNET-Fraktion im Betriebsrat anders aussehen würde, so Schmidt. Er würde handelnde Personen austauschen. Diese Androhung war ein entscheidender Schnitt im Jahre 2005.
Andreas war damals durch eine längere Krankheit gelähmt.

AT:. Ich war in der Tat schwer krank und dann in Kur und konnte nicht so eingreifen, wie ich gerne gewollt hätte.

JR: Denn sonst wären einige Sachen anders gelaufen. Als dieser Gewerkschaftssekretär 2005 vor der kompletten TRANSNET-Fraktion im Betriebsrat in stalinistischer Art und Weise androhte, Köpfe rollen zu lassen, lagen dem klare Interessen und Strategien zu Grunde. Ende des Jahres 2005 fing der Vertrauensleutekörper an, die Betriebsratswahlen 2006 vorzubereiten und berief sich dazu auf die Richtlinien des Hauptvorstands zur Durchführung von Betriebsratswahlen. Darin steht, dass die Reihung und Listung aus dem Vertrauensleutekörper heraus geschehen könne. Der Vertrauensleutekörper sprach sich im November 2005 gegen eine durch den Gewerkschaftsapparat strukturierte Liste aus, die eine Zerschlagung und Zersplitterung bedeutet hätte. Unsere Position war stets: Die Reihung und Listung muss durch den Vertrauenskörper erfolgen, denn wir leisten die tagtägliche Arbeit im Betrieb und kennen die Kollegen und haben eine aktive Gewerkschaftsjugend, die wir langsam an die Arbeit heranführen müssen.

AT: Der TRANSNET-Apparat hingegen hat von oben her die Mitglieder im Betrieb in vier Wahlkreise zersplittert. Wir haben entgegengehalten: Wir kämpfen für eine einheitliche Belegschaft und gegen eine Zerschlagung der S-Bahn. Die haben das aber trotzdem gemacht. Daran konnte man schon erkennen, worauf das hinaus läuft.

JR: Der von der OV-Berlin von außen erstellte Wahlvorschlag spiegelte nicht die Realitäten im Betrieb wider. Die S-Bahn Berlin ist ein relativ geschlossener Betrieb, operiert bahnmäßig auf einer kleinen Fläche und entspricht einer Stadt mit 20 Prozent Umland. Man kennt sich. Wir sind im Gegensatz zu anderen Konzernteilen kein Flächenbetrieb. Unsere Liste wurde vom TRANSNET-Apparat nicht zugelassen, weil die Protagonisten unserer Liste Tannhäuser, Raßbach und andere Kollegen waren, die sich zuvor entscheidend gegen den Börsengang der DB ausgesprochen hatten, immer  innergewerkschaftliche Kritik geäußert und die Streitkultur gepflegt hatten. Man setzte sich wieder nicht mit uns inhaltlich auseinander, sondern es ging wieder nur gegen Personen.

Der Konflikt eskalierte bis Februar 2006, so dass ich mich veranlasst sah, als zweiter Sprecher des Vertrauensleutekörpers bei der Berliner S-Bahn einen zweiseitigen Brief an das für Personenverkehr zuständige Mitglied im Geschäftsführenden TRANSNET-Hauptvorstand (GHV), Karl-Heinz Zimmermann, zu schreiben. Ich wies darauf hin, dass es für unsere Gewerkschaft sehr schädlich wäre, wenn sich die Beschlüsse des Bezirksvorstands gegen die Beschlüsse des Vertrauensleutekörpers richteten. Ich kritisierte, dass es zu keiner Klärung gekommen sei und dass der Bezirksvorstand dabei sei, verbrannte Erde bei der Berliner S-Bahn zu hinterlassen. Bis heute hat Karl-Heinz Zimmermann nicht geantwortet. Das sagt mir, dass wir im Gewerkschaftsapparat nicht ernst genommen werden.

AT: Dabei kann sich unsere Bilanz durchaus sehen lassen. Schon 1998 hatte der Gewerkschaftsapparat einen Tarifvertrag hinter dem Rücken der Tarifkommission durchgesetzt. Dies schuf viel böses Blut. Es gab 200 Austritte. Nach diesem Vertrauensverlust mussten wir das verlorene Vertrauen durch unsere konsequente Haltung wieder aufbauen.

Wie schon gesagt: Wir haben durch unsere politische Arbeit durchgesetzt, dass sich das Land Berlin gegen den Börsengang positioniert. Das haben weder der Gewerkschaftsvorsitzende Hansen noch der TRANSNET-Apparat in den anderen Ländern geschafft.

HGÖ: Also keine Antwort von Karl-Heinz Zimmermann. Was folgte dann?

JR: Im März 2006 sollten dann endgültig die Kandidaten aufgestellt werden und die Wahlkampflosung beschlossen werden. Der Vertrauenskörper hatte das Motto ausgewählt: TRANSNET - Für mehr S-Bahn. Kurz vor der Veranstaltung, bei der wir die Kandidaten aufstellen wollten, wurde der erste Vertrauensleute-Sprecher Detlef Specht zwei Tage lang nach Frankfurt zu Karl-Heinz Zimmermann zitiert. Wir wissen nicht, was dort passiert ist. Wir wissen nur, wie der Kollege Specht hinterher vor dem Vertrauensleutekörper erklärt hat, dass wir im Interesse der Gewerkschaft alle unseren bisherigen Beschlüsse kippen und auf diesen strukturierten Wahlvorschlag eingehen müssten. Er werde das hier durchziehen. Dies war der Bruch zwischen dem ersten VP-Sprecher und seinen Vertrauensleuten. Keiner ist mit Detlef Specht mitgezogen, so dass der Vertrauensleutekörper auf seine Beschlusslage bestand und der Bezirksvorstand seine strukturierte Wahlliste durchziehen wollte.

AT: Wir haben als S-Bahn Berlin im TRANSNET-Bezirk Nord-Ost gewissermaßen eine Sonderbehandlung erfahren, denn bis auf einen anderen Fall in Pasewalk wurden anderswo derartige Wahlmanöver nicht gemacht. Auch Pasewalk liegt im Zuständigkeitsbereich von Andreas Schmidt.

JR. Der Vertrauensleutekörper hat seine KandidatInnen aufgestellt und die Reihung abgeschlossen. Von Seiten der TRANSNET-OV wurden plötzlich Parallelstrukturen entwickelt und 1800 Gewerkschaftsmitglieder im Betrieb angeschrieben und mit einem strukturierten Wahlvorschlag konfrontiert, der den Betrieb wieder in vier Teile zerschlägt. Die Mitglieder wurden aufgerufen, entsprechend in ihrem Betriebsbereich – und zwar nur in ihrem Betriebsbereich – Vorwahlen durchzuführen. Dies alles lief hinter dem Rücken des Vertrauensleutekörpers. Detlef Specht ließ sich dazu missbrauchen, gegen seine Kollegen zu agieren …

HGÖ: … und wurde dann Listenführer auf der offiziellen Liste des TRANSNET-Apparats.

JR: Genau. Gleichzeitig wurde die von den VP beschlossene Losung – TRANSNET für mehr S-Bahn – auf diese andere TRANSNET-Liste übertragen. Wir haben gewarnt: Das ist die Zerreißprobe und drohende Spaltung – immerhin haben wir über 50 aktive VPs, die in ihren Bereichen gut verankert sind. Wir bestanden darauf: wir geben unsere Losung nicht her. Doch die hörten uns nicht mal zu. Beim Wahlvorstand reichten sie ihre Liste ein mit der Losung TRANSNET für mehr S-Bahn. Wir hatten zwei Tage früher unsere Liste mit unserer Losung eingereicht. Wir drohten damit, die Frage durch Anwalt oder Gericht klären zu lassen. Letzten Endes musste TRANSNET nachgeben. Nach der Verlosung der Listenplätze bekam die offizielle Liste TRANSNET den Listeplatz 7 und unsere Liste, die Liste der Vertrauensleute den Listenplatz 9. Liste 9 hat die Betriebsratswahl gewonnen und errang sieben Mandate. Die Liste 7 (offizielle TRANSNET-Liste) erreichte hingegen nur drei Plätze und verlor die Wahl. Die OV entblödete sich aber nicht, nach Abschluss der Betriebsratswahlen zehn Sitze für die TRANSNET nach Frankfurt zu melden.

AT: Darauf hin haben Andreas Schmidt und der 1. Bevollmächtigte der OV die so genannte TRANSNET-Liste von Detlef Specht angewiesen, sich in der konstituierenden Sitzung mit einer gewerkschaftsfeindlichen Liste zusammen zu tun, die aufgrund des Vertrauensverlustes von TRANSNET in der Belegschaft auch sieben Plätze erreichte. Man gab der offiziellen Liste die Anweisung, unseren Spitzenkandidaten nicht mehr zum Vorsitzenden zu wählen, dafür hatte man ja einen gewerkschaftsfeindlichen, handzahmen und arbeitgeberfreundlichen Kandidaten in Reserve.

JR: Unsere Liste, sagen wir mal TRANSNET (Mehrheit), schlug Andreas Tannhäuser zur Wiederwahl als Betriebsratsvorsitzender vor. Doch dafür fehlten die Stimmen der offiziellen TRANSNET-Liste. So wurde Andreas nicht wieder gewählt und der Vertreter einer   gewerkschaftsfeindlichen, so genannten  Freien Liste neuer Betriebsratsvorsitzender. Die GDL-Mitglieder haben sich enthalten.

Die bereits erwähnte Ankündigung von Andreas Schmidt im Jahre 2005, dass er dafür sorgen werde, dass die TRANSNET-Fraktion im neuen Betriebsrat anders aussehen wird, hat sich erfüllt: Aus bisher 15 TRANSNET-Sitzen hat er drei gemacht. Seine Fraktion sieht wirklich ganz anders aus.

HGÖ: Auf die Betriebsratswahlen im Mai 2006 folgte die Fußball-WM, und viele warteten auf öffentlich wirksame Aktionen der S-Bahner.

AT: Mit der Androhung von Arbeitsniederlegungen hatten wir zuvor den Ausschluss betrieblicher Kündigungen erkämpft. Also hat man die WM abgewartet. Nach dem Abpfiff ging das Schlachtfest los und es wurde systematisch das betriebliche Bündnis zerschlagen und der Haustarifvertrag platt gemacht und in den Konzerntarifvertrag eingegliedert. So wurde die Arbeitszeit von zuvor 35 Stunden auf 39 Stunden verlängert und einem zusätzlichen Abbau von 640 Arbeitsplätzen noch in 2007 Tür und Tor geöffnet.

HGÖ: Gibt es jetzt zwei TRANSNET-Vertrauensleutekörper?

JR: Unser Vertrauensleutekörper ist in sich geschlossen und hat weiter alle vier Wochen getagt und große Konflikte mit der OV ausgestanden, die uns zweimal hintereinander unsere Räume verweigert und verschlossen hat. Das ist einmalig. Wir waren loyal und wollten das nicht bekannt machen, um den Vertrauensverlust nicht zu steigern. Über Berlin hinaus richteten wir Protestschreiben an den TRANSNET-Vorsitzenden Norbert Hansen und den gewerkschaftlichen Beschwerdeausschuss. Im August wurde uns gesagt, dass der Kollege Wolfgang Zell, Mitglied des GHV, vom HV beauftragt wurde, die Konflikte bei der S-Bahn zu bereinigen. Er setzte eine Reihe Einzelgespräche an. Alle Kollegen, die mit ihm sprachen, brachten ihm gegenüber ihre Empörung über das undemokratische Verhalten zum Ausdruck. Im November 2006 kam der Kollege Zell in unsere Sitzung und hörte sich noch einmal die Darstellung der übrigen KollegInnen an. Als die KollegInnen den Antrag stellten, die Zusammenarbeit mit Andreas Schmidt einzustellen, bat uns Zell darum, diesen Beschluss nicht zu fassen, damit er in den Gremien seine Handlungsfreiheit behält. Wir taten ihm den Gefallen, doch der Dank dafür war, dass TRANSNET drei Wochen später Schmidt als Handlungsbeauftragten zu unserer Betriebsversammlung geschickt hat. Als ich das erfuhr, schrieb ich wieder einen Brief an Zell und warnte, dass ein Auftreten von Schmidt vor der Belegschaft zu weiterem Vertrauensverlust der TRANSNET führen würde. Wolfgang Zell hat bis heute nicht darauf geantwortet. So wird mit gewählten Vertretern innerhalb der Gewerkschaftsstrukturen umgegangen.

Alle Kollegen leisten ihre gewerkschaftliche Arbeit Ehrenamtlich. Viele von uns sind rund um die Uhr im Schichtdienst tätig. Wir machen das nicht hier aus Spaß, sondern um die Arbeitsbedingungen unserer Kollegen wenigstens einigermaßen mitzugestalten. Wenn man aber dann von den eigenen Gewerkschaftssekretären so in den Hintern getreten wird, dann  fällt mir dazu nichts mehr ein.

HGÖ. Nun wird die S-Bahn offenbar schrittweise zerschlagen. Wie sieht das Szenario für die nächsten fünf oder zehn Jahre aus?

JR: Für die Fahrgäste wird sich äußerlich nicht viel ändern, weil die S-Bahn weiter im Takt fahren wird. Wir befördern 1,3 Millionen Menschen täglich. Das wird sich eher noch steigern. Aber für die Kollegen wird sich Entscheidendes verändern. Andreas hat das dargestellt mit dem durch den Senat aufgedrückten Verkehrsvertrag und dem Zwang, einen Teil der Verkehrsleistungen auszuschreiben. Die „Erlangung der Wettbewerbsfähigkeit“ wurde in den letzten Jahren als Knüppel gegen die Belegschaft eingesetzt. Der Preis hierfür bedeutet 1500 vernichtete Arbeitsplätze bei der Berliner S-Bahn bis 2008. Die Ausschreibung solle ab 2008 starten, der Senat kann darauf verzichten, aber selbst dann sind 1500 Arbeitsplätze bei der Berliner S-Bahn für alle Zeiten vernichtet.

HGÖ: Und wenn man beim Personalabbau übers Ziel hinausschießt und nachher wieder mehr Beschäftigte braucht, holt man Zeitarbeitsfirmen und 1-Euro-Jobber rein?

AT: Natürlich. Diese Diskussion hatten wir schon, nämlich personalfreie U-Bahn-Höfe durch 1 Euro-Jobber zu besetzen. Das wurde zum Glück auch durch die AfA abgewürgt. Innerhalb des Zulieferergeflechts sind übrigens auch viele Arbeitsplätze gefährdet.

HGÖ: Wie hat sich der innergewerkschaftliche Umgangston entwickelt?

AT: Ich bin in TRANSNET mittlerweile mit acht Ausschlussverfahren überzogen worden. Die läppische Begründung lautet: gewerkschaftsschädliches Verhalten und unsere angebliche gewerkschaftsfeindliche Spalterliste. Die sind bis heute nicht in der Lage, mir zu sagen, wer diese Verfahren angestrengt hat. Andreas Schmidt hat es von 15 auf drei geschafft und sucht nun einen Sündenbock. Ich bin seit längerem schwer krank und werde vermutlich aus gesundheitlichen Gründen nicht ins Berufsleben zurückkehren können. Die wollten sogar, dass ich der Gewerkschaft ein ärztliches Attest einreiche.

JR: Genau das widerspiegelt das Niveau dieser OV, nämlich dass man versucht, den ehemaligen Betriebsratsvorsitzenden auszuschließen. Jetzt muss ich es deutlich sagen: Andreas hat seine Gesundheit für die Gewerkschaft geopfert und ist wohl der einzige Betriebsratsvorsitzende, der in einer Legislaturperiode einen Schlaganfall und Enddarmkrebs erlitten und überstanden hat. So wird mit einem engagierten Mitglied umgegangen. Anonyme Anzeigen werden in ein Ausschlussverfahren umgewandelt. Der Kollege Tannhäuser weiß nicht einmal, wer die Anzeige aufgegeben hat. Das ist ein Skandal und widerspricht jeder innergewerkschaftlichen Demokratie.

HGÖ: In den letzten Tagen hat ein Abschiedsbrief der bisherigen TRANSNET-Vorstandssekretäre Markus Fuß und Armin Duttiné Aufsehen erregt. Ein zentraler Vorwurf in beiden Briefen: TRANSNET setzt die Mitgliedschaft im DGB auf Spiel.

AT: Die ganze angestrebte Fusion TRANSNET-GDBA macht vielleicht noch einen Sinn, wenn man die GDBA aus dem Beamtenbund raus zieht und in den DGB überführt. Aber im TRANSNET-HV findet ein heftiger Flügelkampf statt, der sich nur noch um die Frage der DGB-Zugehörigkeit rankt. Wenn sich beide Gewerkschaften vereinigen sollten, dann kommt es formell zu einer Neugründung. Beide fallen dann in jener juristischen Sekunde aus ihrem jeweiligen Dachverband heraus und müssen sich dann positionieren. So bilden sich in der neuen Organisationen unter Umständen neue Mehrheiten. Es steht derzeit vielleicht 50:50. GDBA-Funktionäre agieren zudem oftmals arbeitgeberfreundlich. Es könnte also eine Situation entstehen, in der sich die GDBA-Funktionäre und die gegen die DGB-Mitgliedschaft gerichteten Teile der TRANSNET-Führung zusammen durchsetzen. Dann könnte aus TRANSNET eine gelbe Gewerkschaft ohne Anbindung an den DGB werden.

HGÖ: Wäre dies im Sinn des Arbeitgebers? Woran macht sich dies fest?

AT: Die Tarifgemeinschaft TRANSNET-GDBA ist in der Schnittmenge vom Arbeitgeber und Eigentümer finanziert. Eine Tarifgemeinschaft, die im Interesse der Mitglieder zu arbeiten hat, darf aber nicht vom Arbeitgeber finanziert werden. Das aber passt genau in die vom Gewerkschaftsvorsitzenden Hansen vertretene Politik der Unterstützung für den Börsengang. Mehdorn und der DB-Vorstand schnitzen sich daraus eine eigene Gewerkschaft, die den Kurs in Richtung Privatisierung und Börsengang mit verfolgt. Die GDBA ist wahrscheinlich in einer prekären Finanzlage ist und würde vielleicht ihre ganzen Schulden in die Vereinigung mit einbringen.

JR: Die geplante Fusion der beiden Gewerkschaften wird aus finanziellen Gründen und nicht aus politischen oder von der Belegschaft her geprägten oder formulierten Motiven heraus betrieben. Es geht den Apparaten nur um die nackten Finanzen. Ich appelliere an andere Vertrauensleutekörper und Kollegen im Bahnkonzern: Nehmen wir jetzt den Kampf auf um den Verbleib unserer TRANSNET im DGB. Der Vertrauensleutekörper der Berliner S-Bahn hat im Dezember eine Resolution verfasst, die auf www.bahnvonunten.de eingestellt ist. Ich schlage den anderen Vertrauensleutekörper im Konzern vor,  diese Resolution zu diskutieren,  sie evtl. zu verändern , und entsprechende Beschlüsse zu fassen.

TRANSNET zu verlassen wäre der falsche Schritt. Wir würden unsere Gewerkschaft, in der wie seit Jahrzehnten organisiert sind, den Gewerkschaftsgegnern überlassen. Aus diesem Grund sollten jetzt alle Kollegen davon Abstand nehmen, über Austritt oder Gewerkschaftswechsel nachzudenken.

HGÖ: Markus Fuß kritisiert den geplanten Börsengang und stellt fest, dass es dazu Alternativen gibt.

AT: In TRANSNET wird versucht, alle Mitglieder, die für den Verbleib der Bahn im öffentlichen Besitz sind, in eine bestimmte politische Ecke zu rücken. Wir sind für eine effiziente und erfolgreiche Bahn. Gerade angesichts zunehmender Verkehrsströme in Europa – Nord-Süd und Ost-West – und der Begrenztheit der Ölreserven aus ökologischer Sicht muss dieses wertvolle Wirtschaftsgut Verkehr effizient und erfolgreich organisiert werden – aber bitte in öffentlicher Hand, im Gemeineigentum. Die Erfahrung hat doch gelehrt, dass die Privatisierung der öffentlichen Unternehmen der Daseinsvorsorge – Gas, Strom, Wasser – sehr kritisch beobachtet werden muss. Wir brauchen ein funktionierendes Gemeinwesen. Der Berliner Senat erwägt z.B. die privatisierten Wasserbetriebe wieder in kommunales Eigentum zu überführen, weil die Privateigentümer die Preise diktieren und uns in die Knie zwingen. Tafelsilber kann man nur einmal verscherbeln und man legt dabei unheimlich viel drauf. Bei der Privatisierung geht es nur um privaten Profit und somit verliert das Gemeinwesen die Möglichkeit des Steuerns.

JR: Mein sozialdemokratischer Großvater war im 1. Weltkrieg  und hat mir immer gesagt, dass an jeder Aktie der Rüstungskonzerne das Blut der Soldaten in den Schützengräben geklebt hat. Erst später habe ich begriffen, wie weise diese Aussage war. Auf heute übertragen bedeutet dies, dass an jeder Aktie unsere Arbeitsplätze hängen. Wenn die Bahn an die Börse geht, gefährdet dies massiver als bisher und akut unsere Arbeitsplätze. Der Staat entledigt sich seiner sozialen Verantwortung, indem er sich seines sozialen Eigentums entledigt. Er verletzt dadurch auch die Verpflichtung aus dem Grundgesetz zur Erbringung wichtiger Dienstleistungen für die Bevölkerung. Dazu gehört auch ein flächendeckender Bahnverkehr. Ein privatisierter Bahnkonzern wird dies nicht mehr können und wollen.

HGÖ: Bei der Bundesbetriebsrätekonferenz in Karlsruhe hat Norbert Hansen vehement die Ansicht vertreten: Wer gegen die Privatisierung der Bahn ist, der gefährdet die Einheit des Bahnkonzerns.

AT: Das ist absoluter Unfug. Er verknüpft damit sein eigenes Schicksal, aber er vergisst dabei das Schicksal der anderen. Jetzt gibt es ein böses Gerücht. Aus einer noch nicht genannten Quelle haben wir erfahren, dass Hansen mit Schröder schon im Jahre 2001 vereinbart haben soll, dass russische Großinvestoren Zugriff auf die DB-Aktien bekommen sollen.

HGÖ: Da ist vielleicht was dran, denn die Pläne für Mehdorns China-Bahn sind ja offensichtlich weit gediehen. Je mehr der DB-Konzern solche Güterzüge nach China organisiert, desto mehr wird er sich dann vom flächendeckenden Inlandsverkehr verabschieden.

AT: Solche Überlegungen sind vielleicht wirtschaftlich interessant, aber sie schaden im Endeffekt den kleinen Mitarbeitern.

HGÖ: Markus Fuß bekennt sich zum Prinzip der Gegnerfreiheit und Unabhängigkeit der Gewerkschaften vom Arbeitgeber.

JR: Es ist doch ein offenes Geheimnis, dass die Tarifgemeinschaft TRANSNET/GDBA vom Unternehmen DB mit finanziert wird. Dadurch ist die Unabhängigkeit nicht mehr gewährt. Die kleinen Möchtegern-Warnstreiks vom Oktober waren im Grunde auch politische Warenstreiks und sollten Druck für einen integrierten Börsengang machen. Die KollegInnen waren Statisten für die Kameras.

Wenn ich die Interessen der Gewerkschaft mit den Interessen des Konzerns verknüpfe, dann durchbreche ich damit sämtliche Bestrebungen von abhängig Beschäftigten, sich im Kampf mit ihren Arbeitgebern bessere Arbeitsbedingungen auszuhandeln.

HG: Wie steht es um die Kontrolle der DB durch die Aufsichtsräte und insbesondere die Arbeitnehmervertreter?

AT: Nach meiner Erfahrung kann ich nur sagen: Die Arbeitnehmerbank stellt ihre Aufsichtsfunktion völlig zur Disposition. Letztendlich wird über diese Kontrollgremien auch der Börsengang umgesetzt.

JR: Was die TRANSNET-Mandatsträger betrifft, so müssen wir dies selbstkritisch betrachten. Ich möchte nicht allen Kolleginnen und Kollegen, die als Arbeitnehmervertreter in Aufsichtsräten sitzen, zu nahe treten und Unrecht tun. Aber wenn man das Mandat im Aufsichtsrat primär als Einnahmequelle betrachtet, dann geht auch die Kontrolle verloren, weil man dann die Fleischtöpfe, aus denen man isst, nicht gefährden will.

HGÖ: Aber die Forderung nach voller Abführung aller Aufsichtsratstantiemen an die Gewerkschaften ist sehr umstritten.

JR: Wenn die Gewerkschaft diese Mandate als Einnahmequelle betrachtet, dürfen wir nicht die menschliche Unzulänglichkeit unserer Kolleginnen und Kollegen vergessen, die sich an solche Nebeneinkünfte gewöhnt haben. Man will ihnen ja auch eine gewisse Besitzstandswahrung zusprechen. Das ist kein Sozialneid, sondern der Versuch einer objektiven Betrachtung. Wenn das gewerkschaftliche Kontrollmoment und das gesellschaftspolitische Mandat unserer Kollegen in den Aufsichtsräten nicht wieder deutlicher werden, dann verwässert das ganze demokratische Mitbestimmungsmodell. So weit sind wir leider heute.

AT: Neben den Sitzungsgeldern und Tantiemen in Aufsichtsräten gibt es ja auch noch viele Posten bei der Sparda-Bank, DEVK und anderen Einrichtungen.

HGÖ: Manche Kolleginnen und Kollegen, die früher gegen die Privatisierung eintraten, haben mit der Annahme eines Aufsichtsratsmandats plötzlich ihre Meinung gewechselt und sind jetzt für den Börsengang.

AT: Genau so ist es.

JR: Die innergewerkschaftliche Demokratie hat spätestens seit der „Wende“ gelitten. Man hat uns  Anfang der 90er Jahre viel von Pragmatismus, Notwendigkeiten und Handlungszwängen erzählt. Die GdED-Funktionäre kamen wie die drei Könige aus dem Morgenland und sagten uns: Wir haben 40 Jahre Bundesrepublik und Bundesbahn hinter uns und wir machen das schon für euch. Viele waren gewöhnt, dass man was für sie macht. Nur wenige waren gewöhnt, ihren eigenständigen Kopf in die Diskussion ein zubringen. Meine entscheidende Kritik: Diese Gewerkschaft hat ihre Mitglieder in der Vergangenheit nicht zur Kampfbereitschaft erzogen, sondern zum Gehorchen und sich zu Fügen. Das Stellvertreterprinzip wurde eingeführt – lasst uns Funktionäre und Sekretäre nur machen. So ein Kurs landet irgendwann mal im Loch. So sind die KollegInnen dann auch nicht mehr in der Lage, eine gewisse Kampfbereitschaft zu entfalten. Soll ich so einer Gewerkschaftsführung in einer Streiksituation vertrauen? Um Kollegen in den Streik zu  führen, bedarf es einer Menge Vertrauen. Wir haben die Kolleginnen und Kollegen  2004 zum Warnstreik mobilisiert. 80 Prozent derer, die uns anriefen haben, haben uns gefragt: Dürfen wir das und schützt uns die Gewerkschaft? Vor zwei Jahren war das Vertrauen in die Gewerkschaft noch vorhanden. Heute leider nicht mehr.

AT: TRANSNET hat die Berliner S-Bahn verloren. Das ist das größte Nahverkehrsunternehmen im Konzern, nicht irgendeine Harz-Quer-Bimmelbahn, sondern der größte Nahverkehrsträger in der Hauptstadt unseres Landes.

JR: Viele KollegInnen bei der Berliner S-Bahn haben die innere Kündigung mit der Gewerkschaft vollzogen. Die Vertrauenspersonen sind mit Kopf, Herz und Leidenschaft dabei und meinen es ernst in ihrer gewerkschaftlichen Arbeit. Leider müssen wir Trümmer beiseite räumen, die andere uns vor die Füße geworfen haben. Was wir aufgebaut haben, haben andere zerstört. Uns reicht´s.

HGÖ: Welche Schlussfolgerung sollen engagierte TRANSNET-Mitglieder aus solchen Erfahrungen ziehen? Wird 2007 ein Schicksalsjahr für TRANSNET? Was ist Eure Botschaft?

AT: Unser Kampf geht weiter. Wir arbeiten mit unserer Resolution und dem Brief an Kurt Beck. Innerhalb der Landes-AfA känpfe ich auf jeden Fall weiter. Wir wollen die Mitglieder der anderen DGB-Gewerkschaften sensibilisieren, solche Entwicklungen nie zuzulassen. Egal welche Querelen zwischen TRANSNET, ver.di und IG Metall um Organisationszuständigkeiten bestehen – es geht um den Bestand unseres Deutschen Gewerkschaftsbundes. Denn wenn sich TRANSNET vom DGB abwendet, hat dies weit reichende Folgen für den Bestand des DGB, der dann bis ins Mark erschüttert wird. Das ist eine Schwächung der Arbeitnehmer in diesem Lande. Wir versuchen mit den uns verbleibenden Instrumenten und Möglichkeiten zu kämpfen, nachdem man uns andere Möglichkeiten aus der Hand genommen hat.

JR: Im Frühjahr 2007 werden Organisationswahlen stattfinden. Konzernweit werden neue Vertrauensleute gewählt und neue Delegierte zu den Ortsdelegiertenkonferenzen. Einer der wichtigsten Prüfsteine, bevor man einem Kollegen seine Stimme gibt, sollte die Frage sein: bist du für oder gegen den Börsengang? Bist du für oder gegen den Verbleib im DGB? Bist du für oder gegen den Kurs des Vorsitzenden Norbert Hansen? Jeder Kandidat und jede Kandidatin sollte sich dazu erklären, welche Positionen er oder sie hat. Die Zeiten, in denen man stillhält und die Funktionäre einfach machen lässt, sollten vorbei sein. Wir müssen in den bevorstehenden  konzernweiten Vertrauensleutewahlen – wie man so schön sagt – unser Ding selbst in die Hand nehmen. Dann können wir uns im Herbst auf den Ortsdelegiertenkonferenzen auch neue Vorstände wählen.

AT: Das geht aber nicht mit diesem gleichgeschalteten geschäftsführenden Hauptvorstand, um das in aller Deutlichkeit zu sagen. Norbert Hansen war ein Hoffnungsträger, nachdem die alten Männer abgetreten sind. Viele erwarteten von ihm eine kämpferischen Kurs und Widerstand gegen die Privatisierung. Doch es war eine große politische Enttäuschung, als er dann genau den diametral entgegen gesetzten Kurs eingeschlagen hat. Die ganze Politik läuft gegen die Interessen der Mitglieder. Die kleinen Leute werden die Arbeit verlieren. Ich habe jetzt im Betrieb erlebt, dass Menschen, die noch vor einem Jahr dem Arbeitgeber an den Lippen hingen und alles fraßen, was ihnen vorgeworfen wurde, plötzlich feststellen: Das bin ja ich, der gemeint ist. Mein Arbeitsplatz ist weg. Uns jetzt haben sie keine Gewerkschaft und keinen Betriebsrat mehr, der ihre Interessen vertritt.

HGÖ: Wie gestaltet sich jetzt die Arbeit im Betriebsrat?

AT: Es gibt wechselnde Mehrheiten. Unsere Vertreter der Liste 9 leisten eine hervorragende Betriebsratsarbeit und bemühen sich um Mehrheiten. Dies gelingt teilweise auch. Wenn der Betrieb weiter so Arbeitsplätze abbaut, werden in einem Jahr vorzeitig wieder Betriebswahlen ausgeschrieben. Wenn die S-Bahn im Konzern aufgelöst wird, dann landen die bisherigen Vertrauensleute und Betriebsräte in ganz anderen Strukturen. Die ganze aktive politische Arbeit von fünf Jahren ist dann hinweggefegt worden.

JR: Aber natürlich ist diese Arbeit nicht umsonst gewesen, denn die Spuren, die wir den Jüngeren hinterlassen, sind nicht wegzuwischen. Diese gemachten Erfahrung waren nicht umsonst. Es ist die Tragik der handelnden Personen, dass sie  den eigentlichen Erfolg ihrer Arbeit   nicht so richtig sehen und erkennen können. Die Kollegen haben  in der Vergangenheit viel gelernt. Das kann man ihnen nicht nehmen kann und das werden sie in ihrer künftigen Betriebsrats- und Gewerkschaftsarbeit  einbringen und anwenden. Die letzten 10 Jahre in der Berliner S-Bahn waren für nicht wenige Kollegen eine gute gewerkschaftspolitische Schule – im positiven wie im negativen.

© Hans-Gerd Öfinger, www.bahnvonunten.de

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