Privatisierungsgutachten begründet Angriffe auf Eisenbahnerinteressen

... und liefert Argumente gegen Privatisierung

 

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Mitte Januar stellte Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee dem Verkehrsausschuss des  Deutschen Bundestags ein 560 Seiten starkes, von der Beraterfirma Booz Allen Hamilton erstelltes Gutachten über Privatisierungsvarianten der Deutschen Bahn AG vor. Das Dokument war im April 2005 von der alten Bundesregierung in Auftrag gegeben worden. Regierende und Opposition mit Ausnahme der Linkspartei sind sich einig, dass privatisiert werden soll. Die Frage ist nur noch: Soll die Bahn mit oder ohne Netz an die Börse?
Booz Allen Hamilton ist ein weltweit operierender Beratungskonzern und wirkt neben vielen anderen Projekten auch bei der Privatisierung der georgischen Eisenbahnen, der algerischen Staatsbetriebe, der saudiarabischen Telecom und der größten brasilianischen Telekomgesellschaft Telebras mit.

Die Gutachter sehen in einer anstehenden Entscheidung der Politik über eines der aufgeführten Privatisierungsszenarien eine Weichenstellung für die nächsten 30 bis 50 Jahre: „Korrekturen eventuell fehlerhafter Entscheidungen können nur bedingt vorgenommen werden“, so das Gutachten im O-Ton.
Für Alternativen zur neoliberal inspirierten Privatisierung und Szenarien einer Bahn im öffentlichen Besitz ist im Gutachten kein Platz. So wurden fast ausnahmslos nur Persönlichkeiten interviewt, die ein materielles Interesse an Privatisierung haben oder als Privatisierungsverfechter gelten. Kritiker blieben unberücksichtigt. Dass die staatlich betriebenen Schweizer Bahnen im Personen- und Güterverkehr weitaus besser genutzt werden als die deutschen Bahnen, ist für die Gutachter ebenso wenig ein Thema wie die negativen Erfahrungen mit Bahnprivatisierung in Ländern wie Argentinien.

Der 1994 durch Zusammenschluss von Bundesbahn und Reichsbahn eingeleitete Prozess der Bahnprivatisierung sollte der neu gebildeten Bahn AG ermöglichen, sich „unternehmerisch am Markt“ zu betätigen und im Wettbewerb zu behaupten. Dadurch werde ein beispielloser Aufschwung der Bahn in Deutschland einsetzen, versprach der damalige Bahnchef Heinz Dürr. Seither hat der Bund so viel Geld in die Bahn gesteckt  wie nie zuvor und agiert das Bahn-Management im Sinne einer Privatisierung. Der Wettbewerb ist in Deutschland mit 300 zugelassenen Bahngesellschaften weiter fortgeschritten als anderswo in Europa. Doch auch das Gutachten stellt fest, dass sich der Anteil der verschiedenen Verkehrsträger am gesamten Verkehrsaufkommen inzwischen „weiter zugunsten der Straße entwickelt“ hat.

Eisenbahner haben von einer materiellen Privatisierung und weiteren Liberalisierung keine Vorteile zu erwarten. So erklärt das Gutachten, dass die Kostenvorteile der „Wettbewerber“ gegenüber DB-Töchtern auf 20 Prozent geschätzt würden – in erster Linie durch niedrigere Lohnkosten und höhere Arbeitsproduktivität. Bei zunehmender Liberalisierung des Schienenverkehrs ist somit ein gnadenloser Dumpingwettbewerb vorprogrammiert. Das Gutachten erwartet je nach Variante für die Nahverkehrssparte DB Regio ein Absenken des Marktanteils im Schienenpersonennahverkehr von heute über 90 Prozent auf 50 oder 60 Prozent. Bei der öffentlichen Ausschreibung von Nahverkehrsleistungen bewerben sich zunehmend Privatbahnen, weil hier milliardenschwere staatliche Regionalisierungsmittel fließen.
Erst 2005 hatten die Bahngewerkschaften einen „Beschäftigungssicherungstarifvertrag“ als „Durchbruch“ gefeiert. Er brachte eine Senkung der Arbeitskosten um 5,5% und die Zusage, bis Ende 2010 keine betriebsbedingten Kündigungen durchzuführen. Dafür wurden der Urlaubsanspruch reduziert und die Arbeitszeit verlängert. Doch jetzt geht die Spirale nach unten weiter.

CDU/CSU, FDP und Grüne streben nun eine komplette Zerschlagung des Bahnkonzerns an und wollen die Transportgesellschaften zu 100 Prozent privatisieren, während die (tendenziell defizitäre) Infrastruktur eher beim Bund bleiben sollte. Sollte diese Trennung nun Wirklichkeit werden, so wäre dem „Beschäftigungssicherungstarifvertrag“ der Boden entzogen. Der „konzernweite Arbeitsmarkt“, der noch viele Eisenbahner auffängt und umschult und die Rutsche in die Arbeitslosigkeit abbremst, wäre hinfällig. Gewerkschafter fürchten dann gar den Verlust von 50.000 Arbeitsplätzen.

Aber auch bei einem „integrierten Börsengang“ und Verkauf von „nur“ 49,9 Prozent der DB-Aktien blieben die Interessen der Eisenbahner auf der Strecke. Das Gutachten stellt fest, dass auch bei einer Teilprivatisierung der Bund stets „im Interesse aller Aktionäre“ handeln würde: „Der Kapitalmarkt erwartet diese Zurückhaltung auch im Hinblick auf externe politische Einflussnahme auf unternehmerische Entscheidungen.“ Auch dann würden die Privataktionäre schnell auf Kostensenkung drängen und verlangen, dass sich der Konzern von dem kostspieligen „Job Service“ und von den mehreren zehntausend Eisenbahnern trennt, die noch als Bundesbahner den Beamtenstatus erworben haben.

„Das Eisenbahngeschäft ist kapitalintensiv und wenig dynamisch und bleibt dies auch in Privatisierungsszenarien“, heißt es im Gutachten, das weiter zu bedenken gibt, dass „große Teile des Geschäfts staatlich beauftragt und bezuschusst werden“ und sich hieraus eine große Abhängigkeit der Marktattraktivität und Renditeaussichten vom Staat und „die Zögerlichkeit bezüglich Markteintritt großer Wettbewerber“ erkläre.

Ein lesender Eisenbahner wird sich fragen: Wozu dann überhaupt privatisieren? Jedenfalls nicht, um nachhaltig mehr Verkehr auf die Schiene zu bringen. „Eine Verbesserung des Marktanteils des Schienenverkehrs, wie er in Deutschland explizit angestrebt wird, stand in den meisten Beispielfällen nicht auf der politischen Tagesordnung und wurde in der Regel nicht erreicht.“ So stellt es jedenfalls das Gutachten nüchtern fest.

„Schienenpersonenverkehr ist gesellschaftlich notwendig, kann aber insgesamt betriebswirtschaftlich nicht profitabel sein“, meint auch der US-amerikanische Professor Fred Gamst, der als gelernter Lokführer den nordamerikanischen Eisenbahnverkehr hervorragend kennt und als Gutachter für Gewerkschaften und Bahnen tätig ist. Kritische Fachleute wie er wurden von Booz Allen Hamilton nicht berücksichtigt. Gamst warnt die deutschen Bahner und ihre Gewerkschaften. „Ich würde empfehlen, dass die DB die von den Eisenbahnern erarbeiteten und von deutschen Steuerzahlern eingebrachten Mittel nicht dafür verwenden sollte, die Taschen künftiger privater Aktionäre zu füllen.“

Hans-Gerd Öfinger, 1.2.06

Weitere Hintergründe auf:

www.bahnvonunten.de

 

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Bahn und Börse – Wohin rast der Privatisierungszug?

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