Warum erfährt die TRANSNET-Basis nichts?

Schluss mit dem Eiertanz!

Den Worten müssen Taten folgen!

Zurück zur Startseite

Obwohl schon in zwei Monaten ein Bundestagsbeschluss über die Bahn-Privartisierung und damit ein Mega-Privatisierungs-Projekt ansteht, tun sich die Gewerkschaften TRANSNET und ver.di immer noch schwer mit einem gemeinsamen Abwehrkampf.

Papier ist geduldig und sein Inhalt Auslegungssache. Wie am Wochenende bekannt wurde, haben sich die Vorsitzenden von Transnet (Norbert Hansen) und ver.di (Frank Bsirske) am Rande des DGB-Bundeskongresses Ende Mai 2006 in Berlin auf eine gemeinsame Erklärung zur Debatte um die Privatisierung der Deutschen Bahn AG verständigt.

Demnach sprechen sich beide für einen Erhalt der DB AG „als integriertes Unternehmen im Staatseigentum“ und gegen eine Zerschlagung des Konzerns aus. „Für die Fortsetzung der positiven Unternehmensentwicklung der DB AG ist eine Kapitalprivatisierung nicht erforderlich, wenn die Bundesregierung sich zu ihrer Verantwortung als Eigentümer bekennt“, heißt es in diesem Papier wörtlich: „Überlegungen, einzelne Teile des Konzerns mehrheitlich oder vollständig zu verkaufen, gefährden zigtausend Arbeitsplätze und führen zu Verschlechterungen der Tarif- und Sozialstandards in der gesamten Schienenverkehrsbranche.“ Schließlich soll zwischen beiden Gewerkschaften beraten werden, „wie sie ihre Positionen gegenüber der Politik gemeinsam durchsetzen können.“

Diese begrüßenswerten Aussagen sind in einer schriftlichen Erklärung festgehalten, die die Unterschrift beider Vorsitzender trägt. So weit so gut.

Doch inzwischen sind wieder fast zwei Monate vergangen. Was ist in dieser Zeit geschehen, um diese „Positionen gegenüber der Politik gemeinsam“ vorzutragen und durchzusetzen? Offensichtlich wenig oder gar nichts. In zwei Monaten – Ende September – droht ein Bundestagsbeschluss über die Privatisierung.

Einen Schritt vorwärts – und zwei zurück?

Wenige Tage nach der gemeinsamen Erklärung von Norbert Hansen und Frank Bsirske  – am 1. Juni 2006 – empfahl Norbert Hansen bei der Anhörung des Verkehrsausschusses im Bundestag eben nicht den Erhalt der DB AG « als integriertes Unternehmen im Staatseigentum », sondern warnte lediglich vor einer Zerschlagung des Konzerns und warb damit indirekt für einen „integrierten Börsengang“. In der schriftlichen TRANSNET-Stellungnahme für die Parlamentarier wird die Zustimmung zu einem Börsengang von der Erfüllung bestimmter Bedingungen abhängig gemacht.

Eine Woche später verteidigte Norbert Hansen in einem Interview mit der Frankfurter Rundschau (7. Juni 2006) noch einmal die Idee, bis zu 49 Prozent der DB-Aktien an einen oder mehrere Investoren zu verkaufen.

Das nennen wir: einen Schritt vorwärts – und zwei zurück.

Am 27. Juli soll in  Hamburg eine große bundesweite Betriebsräteversammlung stattfinden, bei der DB-Chef Hartmut Mehdorn als Hauptredner vorgesehen ist. Es ist zu befürchten, dass Mehdorn dabei noch einmal für sein Privatisierungsmodell werben wird. Es ist ebenso zu befürchten, dass Norbert Hansen oder andere führende Vertreter von TRANSNET oder Konzernbetriebsrat dabei nicht beabsichtigen, die Inhalte der gemeinsamen Erklärung von Hansen und Bsirske offensiv zu vertreten und im Angesicht von Hartmut Mehdorn für den Erhalt der DB AG als integriertes Unternehmen im Staatseigentum eintreten werden.

Es ist jetzt höchste Eisenbahn, dass sich TRANSNET – wie in dem o.g. Papier beschrieben und schon auf dem Gewerkschaftstag 2000 in einer Resolution beschlossen – öffentlich und unmissverständlich für den Erhalt des ganzen DB-Konzerns in Staatshänden und gegen jede Form von Privatisierung und Zerschlagung ausspricht und dafür gemeinsam mit ver.di, anderen Gewerkschaften und Privatisierungskritikern wirbt. Schluss mit dem Eiertanz!

Dass Bundestagsabgeordnete durchaus auch kritisch denken und ihre eigenen Schlüsse ziehen können, zeigt das Antwortschreiben eines SPD-Abgeordneten, Mitglied im Haushaltsausschuss, das wir letzte Woche erhielten. Wir zitieren:

„Heute gibt es weiterhin Verbesserungsbedarf, was allerdings auch meiner Ansicht nach nicht durch eine Kapitalprivatisierung, egal ob mit oder ohne Schienennetz, erreicht werden sollte. Ich stehe für die Fortsetzung des Reformkonzepts bei Verbleib des Konzerns in öffentlichem Eigentum. Denn die von Ihnen angesprochenen Gefahren einer Kapitalprivatisierung der Deutschen Bahn AG wie z.B. Angebotstreichungen und Sozialdumping sehe ich ähnlich. Vor diesem Hintergrund können Sie sicher sein, dass ich meine Vorstellungen bezüglich dieser Thematik auch im Bundestag entsprechend vertreten werde.“
Wie wir sehen, gibt es auch in der SPD-Fraktion Privatisierungskritiker. Bei den öffentlichen Anhörungen im Verkehrsausschuss des Deutschen Bundestages am 10. Mai und am 1. Juni machten mehrere SPD-Abgeordnete deutlich, dass sie von der Notwendigkeit einer materiellen Privatisierung der Bahn keineswegs überzeugt sind. Und ohne die Zustimmung der SPD-Fraktion ist eine Privatisierung der DB derzeit unvorstellbar. Die SPD könnte in der Koalition durch ihr Veto das Projekt stoppen. Um die Privatisierungskritiker in ihrer Position zu bestärken und die Mehrheit der SPD-Fraktion für eine Ablehnung jeglicher Privatisierung und Zerschlagung der DB zu  gewinnen, kommt es in diesen Wochen darauf an, dass alle Eisenbahner(innen) und ihre Angehörigen, andere Gewerkschafter(innen) und kritische Menschen das direkte Gespräch mit den Abgeordneten suchen und sie – auch öffentlich – zur Ablehnung der Privatisierung auffordern.

Wenn führende TRANSNET-Repräsentanten demgegenüber mit dem Schlagwort „einheitlicher Bahnkonzern“ mehr oder weniger für einen Börsengang, also eine Teilprivatisierung der DB im Sinne von Mehdorn werben, so ist dies extrem kontraproduktiv. Alle Erfahrungen mit Privatisierungen und die täglichen Hiobsbotschaften auf den Wirtschaftsseiten der Tagespresse zeigen: Sitzen erst einmal private Investoren mit „an Bord“, dann werden sie ihren Renditezielen alles unterordnen, einen massiven Druck auf alle Arbeitskräfte ausüben und viele herausdrängen, weiter umstrukturieren und nach Gutdünken Unternehmensteile verkaufen und gleichzeitig anderswo Betriebe aufkaufen. Wenn der (hundertprozentige) Eigentümer Bundesrepublik Deutschland im Grunde schon jetzt dem Mehdorn-Management bei Umstrukturierungen mit dem Ziel eines Börsengangs freie Hand lässt und die von der Bundesregierung entsandten Aufsichtsratsmitglieder alles abnicken, dann wird sich bei einer Teilprivatisierung des Konzerns auch ein Mehrheitseigner Bund dem Renditedruck der privaten Investoren sicherlich nicht entziehen.

Mehdorn ist spätestens in zwei Jahren weg und wird dann für seine vollmundigen Versprechungen und sein „Geschwätz von gestern“ nicht mehr geradestehen. Aber viele von uns werden „auf der Strecke“ bleiben. Auch ein „integrierter Börsengang“ ist nur ein Durchgangsstadium zur Zerschlagung des Konzerns. Diese Zerschlagung hat im Grunde schon längst begonnen – mit der (in der Praxis äußerst rückschrittlichen) und hinderlichen Aufteilung des lebendigen Organismus Eisenbahn in weit über 200 verschiedene Tochtergesellschaften.

Wird erst einmal die DB privatisiert (und seien es auch „nur“ zehn, 20, 30 oder 49,9 Prozent der Aktien), so ist das ein Dammbruch und wird in ganz Europa Schule machen. Dabei sind die konkreten negativen Erfahrungen mit Bahnprivatisierung in aller Welt warnende Beispiele. „Keine einzige Bahnaktie darf in private Hände gelangen“, warnte der Vertreter der britischen Bahngewerkschaft TSSA in einem Interview am Rande des TRANSNET-Gewerkschaftstages im November 2004. Nicht nur die Gewerkschaften, sondern auch die Labour Party und über 70 Prozent der Briten fordern die Wiederverstaatlichung der Bahnen. Warum missachtet der TRANSNET-Hauptvorstand diese Erfahrungen?
Widerstand gegen die Bahn-Privatisierung ist jetzt allererste Kollegen- und Bürgerpflicht. Wenn es nicht anders geht, müssen die TRANSNET-Mitglieder eben den Hauptvorstand „zur Jagd tragen“.

Bahn von unten, 18.7.06