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"Die Bahn ist ein Organismus. Wenn einzelne Organe entnommen werden, ist der Kollaps vorprogrammiert."

 

Rede auf dem regionalen Bahngipfel – Wiesbaden 27.03.01.

Maria Clara Roque-Öfinger

BR-Vorsitzende DB Station&Service – Zentrale – Frankfurt am Main

 

 

Sehr geehrte Damen und Herren

Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen,

 

aus Sicht von Beschäftigten und BR DB Station &Service – einer der 5 Führungsgesellschaften der DB AG – früher Personenbahnhöfe – gibt es viel zur „Bahn-Saga“ zu sagen.  Die Privatisierung hat zu einer wundersamen Zellteilung geführt.

Die DB hat seit 1994 viele Töchter geboren. Das ist grundsätzlich positiv, werden Sie wohl denken...  Nun, im Normalfall schon, aber stellen Sie sich einen Familienhaushalt mit 186 Töchtern vor. Das ist ganz schön unübersichtlich und chaotisch.

Die „Eltern“ versuchten dann mit einigen Hausangestellten die Töchter in Teams zu organisieren. Die Hausangestellten haben dann Vorstände gebildet und brauchen zur Aufgabenbewältigung verschiedene Assistenten, Sekretärinnen...

So oder ähnlich könnte man das Entstehen eines Wasserkopfs erklären.  Die Vorstände haben externe Berater gebraucht (Unternehmensberater),

weil sie Angst hatten, sie könnten für Entscheidungen verantwortlich gemacht werden.

Dabei haben sie vergessen, dass die Familienmitglieder – sprich Mitarbeiter – diejenigen sind, die sich innerhalb der Familie am besten auskennen und am besten Lösungen erarbeiten können.  Die „Eltern“ haben das Vertrauen zu ihren Kindern verloren, vor allem zu den Technikerinnen, sie haben sich von den Beratern einreden lassen, dass nur die Volks- und Betriebswirtschaftler wissen, wo es lang geht.

Ergebnis ist, dass kaum noch eine weiß, wie die Bahn technisch funktioniert.

Nun, da die Großeltern (Bund) verärgert sind über die großen Geldausgaben der Familie, drohen sie die Eltern (DB AG) mit der Enterbung. Unter diesem Druck geben die Eltern ihre Töchter zur Adoption frei oder setzen sie bei Nacht und Nebel einfach aus.

Angesichts dieser Krise fürchten viele um ihr Einkommen. Im Gegensatz zur Familie (MA) machen sich einige Berater und Hausangestellte aus dem

Staub – und stauben nebenbei was ab.

Die Familie droht zu zerbrechen. Da ist DB Station&Service dann besonders betroffen. Sie ist für das Haus der Familie zuständig. Die Lage ist sehr ernst.

Meine Damen und Herren, Kolleginnen und Kollegen,

Nicht umsonst habe ich den Vergleich mit der Familie gewählt. Die Eisenbahner haben sich bisher als Familie verstanden und sind miteinander durch dick und dünn gegangen.

So ein komplexer Betrieb wie die Eisenbahn ist besonders auf den aufopferungsvollen Einsatz seiner Mitarbeiter angewiesen.

DB Station&Service beschäftigt betreibt ca. 5.800  Bahnhöfe und Haltpunkte bundesweit. Ca. 1000 Empfangsgebäude sollen als sog. „Cash Fresser“ verkauft werden.

Über 1.000  sollen in die Regio-Netze übergehen, d.h. es werden wohl Arbeitsplätze abgebaut werden. Der Gewerkschaftstag Ende November hat klar gezeigt, dass Eisenbahner sich für den „Erhalt einer einheitlichen, flächendeckenden bundeseigenen Bahn im Interesse der Beschäftigten, der Umwelt und der Kunden“ ausgesprochen haben. Ebenso hat eine vom Gewerkschaftstag verabschiedete Resolution den Erhalt des Flächentarifs gefordert.

Ich appelliere an die Politik:

Unterstützen sie uns dabei, dass dieses Ziel erreicht werden kann. Die Bahn ist ein Organismus. Wenn einzelne Organe entnommen werden, ist der Kollaps vorprogrammiert. Wenn der Fahrweg vom Betrieb getrennt wird, ist dies einer Organentnahme gleichzusetzen. Waschen Sie nicht ihre Hände in Unschuld wie Pontius Pilatus!

Ein Zerschlagen des Bahnkonzerns bringt Wettbewerb, heißt es so schön.

Das Zauberwort „Wettbewerb“ heißt nichts anderes als Lohndumping ermöglichen, denn überwiegend durch Lohndrückerei können Konkurrenten billigere Angebote machen – also staatlich subventioniertes

Lohndumping.

England gibt uns ein abschreckendes Beispiel, wie die Zukunft aussieht,

wenn die Bahn auseinandergesprengt wird. Und dort kassieren die privatisierten Bahn-Gesellschaften heute insgesamt mehr staatliche

Subventionen als die ehemalige Staatsbahn British Rail.

Ich appelliere auch an die Medien:

Schluss mit der Privatisierungs- und Wettbewerbspropaganda.

Liebe Journalisten, verbringen Sie öfter mal eine Nacht auf einer Lok, auf

einem Stellwerk oder in einem Bahnhof und reden Sie mehr mit den  Eisenbahnern. In Talkshows und Leitartikeln lassen sich manche (sonst eigentlich vernünftige) Leute über angeblich „zu gut bezahlte“ Eisenbahner aus und fordern uns zum Lohnverzicht auf. Diese Damen und Herren kassieren als Tageshonorar oftmals mehr als Eisenbahner im Betriebsdienst im Monat erhalten.

Fragen Sie doch diese Damen und Herren, ob sie bereit wären Schichtdienst für ca. 3.200 DM/brutto monatlich zu leisten.

In diesem Sinne appelliere ich an alle: Lassen Sie sich nicht von den Sirenenklängen der Privatisierungsprofiteure verführen. Helfen Sie mit bei der Gestaltung einer lebenswerten Zukunft mit einer flächendeckenden Bahn. Nur zufriedenes Personal wird auf Dauer gute Leistungen erbringen  und damit auch Sicherheit für die Kunden und die Allgemeinheit.

 

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