Pest oder Cholera?
Deutsche Industrie macht Front
gegen Mehdorns Weg der Privatisierung

Es geht nicht um das "Ob", sondern um das "Wie" der Privatisierung

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Wenn der Vorstandsvorsitzende eines bislang staatlichen Unternehmens mit voller Kraft und Rückendeckung durch den Kanzler der Bosse auf den Börsengang seines Konzerns hinarbeitet, dann müßte ihm unter „normalen“ Bedingungen der Beifall im Unternehmerlager und namentlich bei den Funktionären von BDI und DIHT sicher sein. Doch zwischen Bahnchef Hartmut Mehdorrn und der Elite der deutschen Wirtschaft herrscht derzeit eine Art Kriegszustand. Für Mittwoch, 22. September 2004,   hatten BDI und DIHK zu einer Großveranstaltung im noblen Berliner „Haus der Wirtschaft“ über „10 Jahre Bahnreform“ eingeladen. Im Mittelpunkt stand dabei Mehdorns Vorhaben, die Deutsche Bahn AG bis 2006 an die Börse zu bringen. Nicht eingeladen hierzu: Hartmut Mehdorn. Wenige Tage zuvor hatte sich der Bahnchef in einem Presseinterview mit BDI und DIHK angelegt: „Der Börsengang der Bahn geht die Verbände gar nichts an“. Zufall oder nicht – wenige Stunden nach der Fachveranstaltung im „Haus der Wirtschaft“ mußte Mehdorn einen ersten Rückzieher machen und den Börsengang 2006 abblasen.

Es zog sich wie ein roter Faden durch die meisten Statements, Thesen und Papiere, die an diesem Tage von Unternehmern, Journalisten, „Experten“ und Wissenschaftlern vorgetragen wurden: die Warnung vor einem „hastigen“ und „nicht durchdachten“ integrierten kompletten Börsengang der DB AG á la Mehdorn, die Forderung nach einer systematischeren Zerschlagung des DB-Konzerns und das Bekenntnis zu „Wettbewerb“ und Auflösung des „Monopolisten“ Deutsche Bahn.

Wilhelm Pällmann, ehemaliger Vorsitzender der Regierungskommission Bahn und bis Anfang der 90er Jahre Vorstandsmitglied der Deutschen Bundesbahn, kritisierte die von Mehdorn konsequent betriebene Entwicklung der DB AG zum weltweit operierenden „Global Player“ mit Tochtergesellschaften in aller Welt. Die Idee vom Marktführer in Europa bedeute Abschottung vom Wettbewerb bei gleichzeitiger hoher Bezuschussung, bemängelte Pällmann, den BDI-Hauptgeschäftsführer Ludolf von Wartenberg einleitend als den „Rürup der Verkehrspolitik“ vorgestellt hatte. Er kritisierte den von Mehdorn angestrebten kompletten Börsengang der DB AG einschließlich der in der DB Netz zusammengefaßten Schieneninfrastruktur und gab die Losung des Tages aus, wie sie von fast allen Rednern nach ihm fast gebetsmühlenartig aufgegriffen wurde: Das Schienennetz soll beim Bund bleiben, denn es ist – ähnlich wie die Bundesautobahnen – ein Zuschußbetrieb. Die Transportgesellschaften (Personenfern- und nahverkehr und Güterverkehr) sollen dann aber konsequent vom Bund an Private verkauft werden. Für vollen Wettbewerb auf Schienen!

In der von BILD-Redakteur Christoph Schmitz moderierten Unternehmerrunde kamen Vertreter des VW-Konzerns und zweier Logistikunternehmen mit eigenem Schienengüterverkehrsbetrieb (Rail4Chem und Rhenania) zu Wort. Johannes Fritzen von der Volkswagen Transport GmBH forderte den Aufbau paralleler, separater Schienennetze für Personen- und für Güterverkehr, um die Belieferung mit Einzelteilen auf Schienen für die Just-in-time-Produktion planbarer zu machen. Der Sprecher der Rhenania Intermodal Transport GmbH, Schuhmacher, brachte es auf den Punkt: „Das Netz kostet Geld. Privatisierung ja – aber bitte nehmt den hoheitlichen Bereich heraus.“

Ähnliche Gedanken formulierten in der Parlamentarierrunde auch Verkehrspolitiker der oppositionellen Bundestagsfraktionen. „Schienenverkehr ist eigentlich zu teuer. Dies schreckt privates Kapital ab“, erklärte Dirk Fischer (CDU). Horst Friedrich (FDP) unterstrich sein unbedingtes „Ja“ zur Trennung von Netz und Betrieb: „Andere Anbieter als die DB AG müssen die Chance haben, planbar mit Schienenverkehr Investitionen zu tätigen und Geschäfte zu machen. Nach der Trennung wird alles andere funktionieren.“

Obwohl Mehdorn bislang mit einem Blankoscheck des Bundeskanzlerns ausgestattet zu sein scheint, wollte in dieser gediegenen Atmosphäre auch der grüne Verkehrspolitiker Albert Schmidt keine Lanze für Mehdorn brechen. Schmidt kritisierte Mehdorns „Hauruck-Verfahren“ und „unverantwortliches Tempo“ beim Börsengang. Das Projekt Teilprivatisierung sei damit aber nicht gestorben.

Zuvor hatten Fischer und Friedrich Schützenhilfe in Form einer von BDI und DIHK in Auftrag gegebenen Studie erhalten, die ein internationales Beraterkonsortium ausgearbeitet hatte. Dieses Papier mit der Propagandabezeichnung „Zukunft Bahn“ fordert – wen wundert´s – die separate Privatisierung der Transportgesellschaften bei gleichzeitigem Verbleib einer Deutschen Schienennetz AG Netz im Bundeseigentum. Demgegenüber bemängelte die parlamentarische Staatssekretärin im Bundesverkehrsministerium, Angelika Mertens (SPD), dass in der Studie zwar viele Formen der Bahnprivatisierung in verschiedenen Ländern erwähnt würden, nicht aber das erfolgreiche Schweizer Modell einer erfolgreichen Integration von Netz und Betrieb unter einem Dach. Zum aktuellen Stand der Beratungen zwischen Bundesregierung und DB-Management über den weiteren Kurs wollte sie sich allerdings nicht äußern. Vielleicht wußte sie zu diesem Zeitpunkt schon, daß Mehdorn am Ende dieses Tages der massiven Kritik von Wirtschaft, Politik und Gewerkschaften an seiner Unternehmenspolitik nachgeben mußte und den für 2006 anvisierten Termin eines Börsengangs absagte.

Aus der am späten Mittwoch abend bekanntgegebenen Vertagung des Börsengangs schöpfen indes nicht nur Privatisierungskritiker Hoffnung. Man solle sich „lieber in Ruhe die operativen Einzelbereiche ansehen, die gute Ergebnisse erzielen, und mit denen dann zu gegebener Zeit an die Börse gehen. Bis dahin haben wir es dann nicht mehr mit Mehdorn, sondern mit einem Nachfolger zu tun“, hatte Rail4Chem-Geschäftsführer Matthias Raith am Vormittag spekuliert.

Freilich waren nicht alle im Saale von der Vorstellung angetan, daß in zwei Jahren möglichweise ein Dirk Fischer (CDU) in das Bundesverkehrsministerium einzieht und dann einzelne Filetstücke der Bahn an privates Kapital verhökern läßt. Mehdorns Vorgänger Johannes Ludewig, der jetzt die Gemeinschaft der Europäischen Eisenbahnen (CER) leitet, war zum Ende der Veranstaltung sichtlich erbost über die Äußerungen seines Parteifreundes Fischer, nachdem dieser an der Deutschen Bahn kein gutes Haar gelassen und die Verschuldung der DB ganz im Stile eines Autolobbyisten angeprangert hatte: „Wer so redet, der blendet völlig aus, dass über Jahrzehnte nichts in die Bahn investiert wurde und dagegen sich das Autobahnnetz vervierfacht hat. Erst seit den 90ern wurde massiv in die Bahn investiert“, gab Ludewig zu bedenken: „Tatsache ist: der LKW-Verkehr trägt nicht die Kosten, die er verursacht.“

Hans-Gerd Öfinger


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