Kommt statt "Plan B" nun "Plan Z"?
Diskussionsveranstaltung in Mainz-Kastel am 13. November 2006

 

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Zu einer Informations- und Diskussionsveranstaltung über die drohende Privatisierung der Deutschen Bahn AG hatten das Aktionsbündnis "Bahn für alle", Attac, Bahn von unten, AUF Kastel, Linke Liste Wiesbaden und Linskpartei eingeladen. Eine hervorragende Grundlage für die Diskussion bot der Vortrag von Alfred Lange, Betriebsrat in der DB-Güterverkehrssparte Railion, der neben einer allgemeinen Kritik der Privatisierung aus der Sicht von Mensch und Umwelt insbesondere auch die negativen Folgen der Privatisierung für den Schienen-Güterverkehr aufzeigte.

Alfred Lange, ehemaliges Hauptvorstandsmitglied der DGB-Gewerkschaft TRANSNET,  bemängelte, dass die TRANSNET-Führung mittlerweile die angedachte Privatisierung unterstütze, obwohl eine Beschlussfassung des Gewerkschaftstags vom November 2000 gegen jede Form der Privatisierung und für den Erhalt einer bundeseigenen und einheitlichen Deutschen Bahn AG nicht aufgehoben und daher nach wie vor gültig sei. Die Erfahrungen mit der Privatisierung ehemaliger Bundesunternehmen wier Post und Telekom seien eine deutliche Warnung; so habe Telekom-Chef Kai-Uwe Ricke jüngst den Hut nehmen müssen, weil den Aktionären die zu erwartende Rendite nicht hoch genug erschienen sei. Während der TRANSNET-Vorstand immer wieder einen "Plan B" (Bahn bleibt beim Bund) in die Diskussion gebracht habe, hätten die Bahnmanager und Strategen in Erwartung eines "Börsengangs" schon längst einen Plan Z (Zerschlagung) ausgearbeitet. Bei Railion sei eine solche Aufteilung voll im Gange - etwa durch die Ausgliederung von Berteichen wie Kombinierter Verkehr, Container- und Shuttleverkehr, Montangüter (Kohle, Erze, Stahl) und Chemie. Damit würden „Tortenstückchen“ und „Filetstücke“ geschaffen, die sich ohne weiteres leicht verkaufen ließen. Gleichzeitig werde somit der (personalintensive und wenige renditeträchtige) Einzelwagenverkehr abgehängt, der dann als erstes Opfer eines Börsengangs auf der Strecke zu bleiben drohe. Hier sei auch die Zahl der Arbeitsplätze seit dem Beginn des Privatisierungsprozesses 1994 von 5500 auf derzeit 3700 Stellen zurückgegangen. Für eine Quersubventionierung im einem flächendeckenden Verbund der Güterbahn sei dann kein Platz mehr.  Somit sei ein weiterer Rückzug des Schienengüterverkehrs aus der Fläche vorprogrammiert, wie er sich schon seit Jahren durch die Kappung von Industriegleisen im Rahmen des Programms „MORA C“ abzeichne.

Auf der Jagd nach Kostensenkung und Börsenfähigkeit habe das Management wild entschlossen beim Abbau des Personals wie auch des Bestands an Loks und Waggons derart übers Ziel hinausgeschossen, dass Railion die aktuelle Nachfragesteigerung nach Güterverkehrsleistungen gar nicht bewältigen könne. Lokomotiven seien inzwischen knapp geworden und würden jetzt eiligst von Ost nach West verlegt oder von Privatfirmen geleast. Die Reparatur- und Ausbesserungswerkstätten seien schon längst ein begehrtes Objekt der Begierde für potenzielle Investoren und drohten bei einem Börsengang in die Hände von privaten Industriekonzernen der Branche zu geraten. Unter dem Diktat der Kostensenkung werde derzeit das Material auf Verschleiß gefahren; nicht zuletzt die Anwohner belebter Güterverkehrsstrecken könnten ein Lied davon singen, dass dies auch verstärkte Lärmbelästigung zur Folge habe. Wer also die weitere Privatisierung des Schienengüterverkehrs betreibe, der raube damit auch den Anwohnern des Mittelrheintals den Schlaf.

 Manche technischen Mitarbeiter, denen dieser Trend zum "Kaputtsparen" schon seit längerem Sorgen bereite, hätten ihre warnenden Berichte bereits vorsorglich bei einem Notar hinterlegt, um bei eventuellen Unfällen in Folge mangelnder Instandhaltung hinterher nicht persönlich belangt zu werden.

Mit der zunehmenden Privatisierung und Zerschlagung und dem Aufkommen privater Güterbahnen, die sich überwiegend um die profitablen Großaufträge rissen und zunehmend auf den großen Fernverkehrsstrecken zu sehen seien, nehme auch die Zeitarbeit im Eisenbahnbereich immer mehr zu. Lokführer, die nach Abschluss ihrer Ausbildung bei Railion wegen des Stellenabbaus nicht übernommen wurden und daher bei Eisenbahn-Zeitarbeitsfirmen wie MEV anheuern mußten, würden jetzt von Railion wieder als Leiharbeiter eingesetzt. Schon vor Jahren habe eine private Industriebahn mitten in Deutschland polnische und rumänische Lokführer für einen Hungerlohn eingesetzt, sie auf der Lok wohnen lassen und teilweise 14 Stunden am Stück arbeiten lassen. Wo solche Lokführer an Baustellen mit Nicht-Eisenbahnern anderer Firmen zu tun hätten und nicht einmal genügend Sprachkenntnisse hätten, werden dies zu einem Sicherheitsrisiko allererster Ordnung.

Vehement widersprach Lange der von Privatisierungsbefürwortern verbreiteten Ansicht, durch Privatisierung und Wettbewerb auf Schienen würde der Anteil der Schiene am Gesamtverkehrsaufkommen stark zunehmen. In Wirklichkeit würden private Investoren aus Übersee, wie sich das DB-Management an Bord ziehen wolle, ihr Kapital sicher nicht deshalb in die Bahn stecken, weil ihnen an sicheren Arbeitsplätzen oder einem umweltfreundlichen Verkehrsmittel gelegen sei. Sie würden jede Strecke, jeden Betriebsteil und jeden Arbeitsplatz auf die Renditeträchtigkeit hin abklopfen und alles abstoßen, was nicht ausreichend Rendite abwirft. Da Bahn-Manager nicht wie der geschasste Telekom-Chef Ricke enden wollten, würden sie den Renditedruck unweigerlich mit aller Gewalt an die Beschäftigten weiter geben. Diesem gewaltigen Kosten- und Rationalisierungsdruck würden viele Beschäftigte und Verkehre zum Opfer fallen. Eine Schrumpfbahn sei die Folge.

Die Konzentration auf renditeträchtige Verkehre zeige sich im übrigen auch beim Personenverkehr. Das DB-Management setze zunehmend auf eine „kleine feine Fernbahn“ mit einer ICE-Flotte auf Hochgeschwindigkeitsstrecken zwischen wenigen Ballungsgebieten. Demgegenüber sei der Interregio, der auch das „flache Land“ und Kleinstädte für den Fernverkehr erschlossen habe, wieder vollständig vom Gleis genommen worden. Über kurz oder lang drohe auch ein Ausdünnen von Intercity-Verbindungen vor allem abseits der großen Fernverkehrskorridore.

Lange sprach sich für den Erhalt und Ausbau einer optimierten öffentlichen Bahn aus. Den Bundestagsabgeordneten müsse klipp und klar gesagt werden, dass Sie mit einem Abnicken der Bahnprivatisierung noch viel schlimmeren Flurschaden anrichteten als dies bereits bei Post und Telekom offenkundig sei. Ein Börsengang laufe auch dem Ziel der Bundesregierung, mehr Arbeitsplätze zu schaffen, zu wider.

In der Diskussion wies lange auf einen weiteren sicherheitsrelevanten Nebeneffekt der Privatisierung hin. Zwar müssten Railion-Lokführer weiterhin Streckenkenntnis mitbringen, um auf bestimmten Trassen eingesetzt zu werden. Vor einem Regeleinsatz müssten sie dreimal bei Tag und dreimal in der Dunkelheit eine entsprechende Strecke mit Begleitung abgefahren haben. Im Gegensatz zu älteren, verbeamteten Lokführern würden jüngere Lokführer jedoch aus Angst vor dem Personalabbau selbst dann sich als „fit“ für eine bestimmte Strecke bezeichnen, wenn sie sich in Wirklichkeit noch nicht fit fühlten, während die Lokführer mit Beamtenstatus weniger Angst Arbeitsplatzverlust hätten und daher sich eher zutrauten, nötige Kritik auch zu äußern.

In der Diskussion wies eine Eisenbahnerin auf eine speziell für die Railion-Lokführer nachteiligen Folge der Zergliederung der DB-Transportgesellschaften und ihres Personals hin. Da der Güterverkehr überwiegend bei Nacht über die Gleise rolle, sei der gesundheitsschädliche Nachtschichtanteil für Railion-Lokführer viel höher als für ihre Kollegen im Personenverkehr. Ein anwesender Post-Betriebsrat berichtete, wie nach dem Börsengang der Deutschen Post AG Beschäftigte und Bürger benachteiligt seien und vor allem Großkunden bevorzugt würden und die Post landesweit zahlreiche Filialen geschlossen und Briefkästen abmontiert habe. Auch ein Bundesanteil von 50,x Prozent tauge gar nichts, denn mit dem Verkauf der ersten Aktien an Private sei die Rendite für die Aktionäre das Maß aller Dinge. „Ich kann nur von einem Börsengang der Bahn abraten“, so der Appell des Postlers.

Die Veranstaltung fand in einer Eisenbahnersiedlung statt und lockte auch Kollegen und Transnet-Mitglieder an, die durch Flugblattverteilung in den Briefkästen angesprochen worden waren und rege mit diskutierten. Ein anwesender Reporter berichtete in einem umfangreichen Artikel in der Lokalpresse und zeigte Interesse an weiteren Informationen über die nachteiligen Folgen der Privatisierung speziell für die Rhein-Main-Region.

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