Gewerkschaften setzen unterschiedliche Akzente
Eiertanz statt Abwehrkampf

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Angesichts einer drohenden Privatisierung und Zerschlagung der Deutschen Bahn tun sich die Bahngewerkschaften schwer mit einem klaren „Nein“ und einem gemeinsamen Abwehrkampf. Doch die Zeit drängt.

 

Hinter den zwei Linien einer Bahn-Privatisierung, die sich an der Frage „Börsengang mit oder ohne Netz“ festmachen, stecken unterschiedliche materielle Interessen potenzieller Investorengruppen. Dieser Richtungsstreit findet seinen Niederschlag in unterschiedlichen Akzenten der Gewerkschaften. Vordergründig beteuern alle, dass sie eigentlich keine Privatisierung verlangten. „TRANSNET fordert keine Privatisierung der Deutschen Bahn AG! Auch eine Erfolg versprechende Weiterentwicklung der DB AG in rein öffentlicher Anteilseignerschaft wäre möglich“ erklärt die größte Bahngewerkschaft. Allerdings: „Diese Grundsatzentscheidung liegt ausschließlich in der Verantwortung der Politik“. Kürzlich betonte der TRANSNET-Vorsitzende Norbert Hansen, stellvertretender DB-Aufsichtsratsvorsitzender, dass man im Bundesbesitz „eine gute Bahn machen“ könne. Gleichzeitig jedoch verteidigt er die von DB-Chef Hartmut Mehdorn verfochtene Idee eines „integrierten Börsengangs“ und stellt Bedingungen für eine Zustimmung zur Kapitalprivatisierung. So seien Betriebsräte und Transnet „in dem Prozess einer Kapitalbeteiligung von Anfang an zu beteiligen“, weil „eine konstruktive Zusammenarbeit“ unabdingbar sei. Somit sieht Transnet in einem „integrierten Börsengang“ der DB das „kleinere Übel“.

Auch die Lokführergewerkschaft GDL „widersetzt sich nicht grundsätzlich einem Börsengang der DB“, so der Tenor einer Argumentationshilfe im April. Ende Mai hielt die GDL-Generalversammlung allerdings das Unternehmen DB für „derzeit nicht börsenfähig.“ Auch aus GDL-Sicht gibt es ein „kleineres Übel“: „Sollte der Börsengang dennoch vom Eigentümer beschlossen werden, hat das Netz in der Verfügungsgewalt des Eigentümers zu verbleiben.“

Dass sich die beiden Kontrahenten mit unterschiedlichen Privatisierungsvarianten anfreunden könnten, kommt nicht von ungefähr. Transnet definiert sich als die für den Konzern Deutsche Bahn zuständige DGB-Gewerkschaft. Ihre Mitglieder sind überwiegend bei der DB tätig. Eine Auflösung des DB-Konzerns könnte ihre Existenz gefährden. Transnet stellt fast alle Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsräten der DB-Holding und ihrer Töchter und identifiziert sich in hohem Maße mit dem Konzern und seinem Vorstand.

Demgegenüber würde die Spitze der Lokführergewerkschaft GDL dem „integrierten Bahnkonzern“ keine Träne nachweinen. Bei der Aufteilung der DB-Aufsichtsratsmandate kam sie zu kurz. „Es ist mir egal, ob unsere Kollegen im DB-Konzern oder sonst wo in Arbeit sind“, erklärt GDL-Chef Manfred Schell. Seine Berufsgewerkschaft tröstet sich damit, dass Lokführer immer gebraucht würden. Schell bekommt Druck von anderer Seite. So sprach sich der Betriebsrat der privaten Güterbahn rail4chem für eine vollständige Trennung von Netz und Betrieb der DB AG aus und forderte den GDL-Vorstand auf, diese Position zu unterstützen.

Für ihre gegensätzlichen Positionen führen Transnet und GDL durchaus nachvollziehbare Einzelargumente an. Transnet weist auf die im Schienenverkehr unentbehrliche enge Verzahnung zwischen Fahrweg und Betrieb hin. Ohne diese Einheit wäre auch eine Innovation wie der ICE nicht zustande gekommen. Durch eine Zerschlagung des Konzerns wären 50.000 bis 80.000 Arbeitsplätze gefährdet oder dem Dumpingdruck ausgesetzt. Bei einem Verkauf von Teilbetrieben verschwänden Errungenschaften und Sozialleistungen des Konzerns, so auch der Verzicht auf betriebsbedingte Kündigungen und der konzerninterne Arbeitsmarkt, der „freigesetzte“ Eisenbahner mit Lohnabschlägen fürs erste vor der Rutsche in Hartz IV bewahrt. All diese Warnungen wiederum hält die GDL für unverantwortliche Panikmache, obwohl auch ihre Mitglieder (überwiegend Lokführer und Zugbegleiter) betroffen wären. Sollte Transnet – wie angedroht – tatsächlich irgendwann gegen eine Zerschlagung der Bahn AG streiken, so würde die GDL nach eigenen Angaben einen solchen Arbeitskampf unterlaufen. Ob es noch 2006 allerdings tatsächlich zum Transnet-Streik und zum GDL-Streikbruch kommt, bleibt abzuwarten.

Auch die GDL-Warnungen vor einem Börsengang mit Netz sind plausibel. Nur ein bundeseigenes Netz könne gewährleisten, „dass ‚unrentable’ Strecken nicht den Renditeerwartungen zum Opfer fallen.“ Bei einer Börsenbahn werde nur noch gefahren, „was die notwendige Kapitalrendite erzielt“. Dies hätte im Fern- und Güterverkehr eine Angebotsreduzierung zur Folge. Darüber hinaus würde die DB erheblich unter ihrem Wert an der Börse gehandelt, warnt die GDL. Solche Gedanken will Hansen jedoch nicht gelten lassen, denn bei einem Verkauf von bis zu 49 Prozent hätte der Staat „am Ende das Sagen“.

Unterdessen fordert die Basisinitiative „Bahn von unten“ Vorstände und Mitglieder beider Gewerkschaften auf, im Interesse aller Eisenbahner gemeinsam gegen jegliche Zerschlagung und Privatisierung der DB einzutreten und die Politiker unter Druck zu setzen, anstatt ihnen Zustimmung zum vermeintlich „kleineren Übel“ zu signalisieren. „Fahrweg und Betrieb gehören zusammen. Das Netz muss beim Bund bleiben – und der ganze Betrieb gleich“, lautet ihre Losung.

 

Hans-Gerd Öfinger

 

Eine leicht gekürzte Fassung erschien am 20. Juni 2006 in der Tageszeitung Neues Deutschland