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Die Misere der Deutschen Bahn

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Die größte Streikbewegung deutscher Eisenbahner seit 1922 und “französische Verhältnisse” (wie 1995) waren zum Greifen nahe. Landauf, landab hatten viele tausend Eisenbahner(innen) in regionalen Demonstrationen Kampfbereitschaft gezeigt.

Vor Beginnn der Tarifverhandlungen wurde der Bahn-Chef von aufgebrachten Eisenbahnern ausgebuht. Doch mitten in der Nacht und buchstäblich in letzter Minute wurden die für das letzte März-Wochenende angekündigten Warnstreiks wieder abgeblasen.

Aus gutem Grunde waren und sind die ansonsten sehr geduldigen und leidensfähigen Eisenbahner sauer. Ausgerechnet unter einer “rot-grünen” Bundesregierung und unter einem “linken” Verkehrsminister Klimmt hatte Hartmut Mehdorn, der neue Chef der bundeseigenen Deutschen Bahn AG, einen  massiven Kahlschlag bei Arbeitsplätzen, Löhnen und Nebenstrecken angekündigt. Den Beschäftigten wurde die Pistole an die Schläfe gehalten: entweder akzeptiert Ihr einen weiteren Personalabbau um weitere 70.000 auf dann noch 180.000 (und das bedeutet auch betriebsbedingte Kündigungen), oder es gibt drei Jahre lang eine Nullrunde bei Löhnen und Gehältern sowie Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnausgleich, sprich: Kurzarbeit. Dies ist offensichtlich der “Dank des Vaterlandes” für einen Personalabbau um 50% und eine Steigerung der Produktivität um 100 Prozent seit Anfang der 90er Jahre.

Die neue Börsen- und Schrumpfbahn: im Wettlauf mit dem Flugzeug

Der vom Kanzler mit einem Blankoscheck ausgestattete Mehdorn, der für sich im “Unternehmen Zukunft” ein Jahresgehalt (3 Millionen DM) aushandelte, das fünfmal so hoch ist wie das seines Vorgängers und Kohl-Freundes Johannes Ludewig, tischte das größte Kahlschlagspaket für die deutsche Eisenbahn seit Mitte der 70er Jahre auf und setzt rein auf Fernschnellverkehr über neue Hochgeschwindigkeitstrassen zwischen wenigen bundesdeutschen Ballungsgebieten. Das “flache Land” soll sehen, wo es bleibt. Dabei nehmen sich Mehdorns verschwommene Ankündigungen, Nebenstrecken könnten ja viel besser und “marktnäher” von Eisenbahnern und “mittelständischen Unternehmen” betrieben werden, wie ein schlechter Witz aus. Das neue Konzept, das die DBAG kapitalmarktfähig machen soll, bedeutet einen endgültigen Abschied von einer flächendeckenden Bahn-Anbindung und Vernetzung. Mehdorn sieht die Hauptkonkurrenz der Bahn im Luftverkehr - und will Oftfahrer mit Lufthansa-Freiflügen belohnen! Die Neben-Strecken sollen dann von chronisch verschuldeten Städten, Kreisen und Ländern betrieben – und vermutlich stillgelegt – werden.  

Vor sechs Jahren sollte die von der Kohl-Regierung mit SPD-Unterstützung beschlossene erste Stufe der Bahn-Privatisierung (Umwandlung von Bundesbahn und Reichsbahn zur Deutschen Bahn AG zum 1.1.1994) die Bahn “unternehmerisch flexibler” machen und mehr Verkehr auf die Schiene ziehen. Die Bilanz ist ernüchternd: zwar hat der (schon längst vor der Privatisierung konzipierte und umgesetzte) Hochgeschwindigkeits-Fernverkehr mit dem ICE neue Kunden anziehen können, aber der Güterverkehr (DB Cargo) verzeichnet seit Jahren kontinuierliche Rückgänge.

Wie bei der Post und anderswo bedeutete bei der Bahn die Privatisierung zunächst einmal höhere Managersaläre und gleichzeitig schlechtere Sozialleistungen für die neu eingestellten Eisenbahner(innen). Viele Beschäftigte im Betriebsdienst schieben große Überstundenberge vor sich her. Die Aufgliederung des DBAG-Konzerns in verschiedene Unternehmenssparten hat nicht weniger, sondern mehr Bürokratie und Koordinierungsmängel gebracht. Ein Teil der von Mehdorn aufgeführten Defizite ist hausgemacht und geht auf das Konto von Fehlplanungen, überdimensionierten Bauprojekten etwa bei Schnellstrecken und horrenden Honoraren für externe Unternehmensberater, die mit ihren Umstrukturierungsplänen die Eisenbahner(innen) extrem verunsichern und ihnen die letzte Motivation rauben.

Chancengleichheit für die Bahn? Nicht gewollt!

Maßgeblich für die drohenden neuen Milliardenverluste ist aber die seit Jahrzehnten herrschende Benachteiligung der Bahn durch eine Verkehrspolitik, die seit Jahrzehnten von der Straßenverkehrs- und Luftfahrtlobby bestimmt wird. Während neue drohende Milliardenverluste der DBAG zum Politikum werden und der sich eisern gebende Sparkommisar Eichel bald keine Mark mehr locker machen will, redet in der bürgerlichen Öffentlichkeit kaum ein Mensch über die 200 Milliarden DM gesamtgesellschaftlichen Defizite, die der Straßenverkehr alljährlich in der Bundesrepublik verursacht. Daß ausgerechnet unter einer “rot-grünen” Bundesregierung der Dieselverkehr der Bahn im Gegensatz zum Flugbenzin mit der “Ökosteuer” belastet wird, mag verstehen wer will. Die Eisenbahnergewerkschaft GdED fordert die Einführung einer streckenabhängigen Lkw-Maut von einem Pfennig pro Tonnenkilometer und weist darauf hin, daß allein dadurch jährlich rund fünf Milliarden DM erhoben werden könnten – etwa zur Verbesserung der Schienen-Infrastruktur.

Doch anstatt – rein marktwirtschaftlich betrachtet - der Bahn endlich mehr Chancengleichheit zu verschaffen, drängt die Politik der Bundesregierung das Mehdorn-Management in Richtung Generalangriff auf den Lebensstandard der Eisenbahner(inen):  nicht einmal Lohnleitlinien aus dem “Bündnis für Arbeit” oder Inflationsangleich (wie im Sparpaket für Beamte angedacht), sondern nominale und reale Einkommensverschlechterungen. Damit müssen die Beschäftigten für krasse Wettbewerbsverzerrungen aus ihrem eigenen Geldbeutel aufkommen.

Wenn sich die Gewerkschaftsführer im Gegenzug für Mehdorns Verzicht auf betriebsbedingte Kündigungen zur “konstruktiven” Mitarbeit bereit erklärt haben, dann drohen statt Kürzungen der monatlichen Löhne und Gehälter eben massive und kaum weniger schmerzhafte Einschnitte bei Weihnachts- und Urlaubsgeld und anderen Zulagen. Da die allermeisten Eisenbahner(innen) nur kleine und mittlere Einkommen beziehen, würde sie dies hart treffen.

Was nun?

Keine weiteren Opfer! Streiken statt Abwarten und Kapitulieren!

Eisenbahner(innen) haben in den letzten Jahren viel geleistet und genug geopfert. Gleichgültig in welcher Form: Einkommensverluste sind unannehmbar. Auch wenn niemand zum Spaß streikt und jeder Eisenbahnstreik auch Unannehmlichkeiten bringt: Ohne Arbeitskampf ist offensichtlich kein ausreichender Druck herzustellen - auf das Bahn-Management nicht und auf Politik und Öffentlichkeit erst recht nicht. Es darf nicht wahr sein: in vielen Ländern Europas wehren sich Eisenbahner(innen) gegen die gleiche Misere und bringen Streiks zustande – nur die deutschen Eisenbahner(innen) mit einem sehr hohen Organisationsgrad lassen sich von Management und Regierung an der Nase herumführen. Streikbereitschaft ist vorhanden, sie läßt sich aber nicht ewig konservieren oder beliebig auf Knopfdruck herstellen.

Schulterschluß mit anderen Opfern von Privatisierung und Kahlschlag!

Gemeinsame Pressekonferenzen und Kampagnen der GdED mit Umweltverbänden sind gut. Gemeinsame Gegenwehr gegen Privatisierung und Zerschlagung öffentlicher Dienstleistungen und Tarifdumping mit anderen Gewerkschaften ist besser. Ob Stadtwerke, kommunale Energieversorger, Verkehrs- oder Entsorgungsbetriebe: überall werden Gewinne privatisiert und Verluste sozialisiert, Tarifverträge untergraben und Arbeitsplätze vernichtet. Diese Angriffe, diese neoliberalen Privatisierungsorgien können wir nur gemeinsam zurückschlagen. Sonst wird jede(r) für sich allein abgeschlachtet, und es bleibt in wenigen Jahren vom Sozialstaat mit einer für alle Bürger erschwinglichen sozialen Infrastruktur nichts mehr übrig.

Notbremsung für den Privatisierungszug! Keine weiteren Ausgliederungen! Stoppt Börsengang und Ausverkauf: für eine radikale Wende in der Verkehrspolitik.

Großbritannien war europäischer Vorreiter bei den Privatisierungsorgien. Hier ist die Zerstückelung der ehemaligen Staatsbahn am weitesten fortgeschritten – zu Lasten von Eisenbahner(innen) und Fahrgästen. Hier sind die Gewerkschaften am meisten geschwächt worden. Nach der Zugkatastrophe vom Bahnhof Paddington im Herbst 1999 sprachen sich in Meinungsumfragen zwei Drittel für eine Wiederverstaalichung der Eisenbahn aus. Auch uns drohen ohne Widerstand britische und amerikanische Verhältnisse.

Statt eines ruinösen Verdrängungswettbewerbs auf dem Verkehrssektor, der auf dem Rücken von Beschäftigten, Bürgern und Umwelt ausgetragen wird, brauchen wir ein integriertes Netz öffentlicher Verkehrsdienste unter staatlicher Regie. Statt eisenbahnfremder und geldgieriger Manager und inkompetenter Berater brauchen wir eine weitestgehende Kontrolle und Mitbestimmung durch die Beschäftigten selbst.

Hans-Gerd Öfinger
3. April 2000

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