Redebeitrag des Delegierten Alfred Lange,
Mitbegründer der Initiative „Bahn von unten“,
auf dem TRANSNET-Gewerkschaftstag
Berlin, 24. November 2008

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Liebe Kolleginnen, Liebe Kollegen,

wir haben heute hier die Berichte des verbliebenen Restes des Geschäftsführenden Vorstandes gehört.

Nun sind Geschäftsberichte immer politische Berichte. Und Politik hat auch immer was mit dem eigenen Standpunkt zu tun.

Und den Standpunkt unseres ehemaligen Vorsitzenden haben wir ja nun alle sehr drastisch vorgeführt bekommen.

Es ist nun mal grade sechs Monate her, dass Norbert Hansen nach seinem geistig schon längst vollzogenem Wechsel, nun auch körperlich die Seiten gewechselt und uns verraten hat. Für die meisten von uns sehr schmerzhaft und für viele bis heute noch nicht überwunden.

Was hat er uns nun zurückgelassen an diesem 8. Mai, den man als Tag der Befreiung feiert?

Wut, Enttäuschung, Empörung, Verunsicherung in der Mitgliedschaft und Hilflosigkeit im Vorstand, waren die ersten, erkennbaren Zeichen.

Austritte, Häme und zynisches Bedauern waren und sind immer noch unsere Begleiter.

Nun hatten wir sechs Monate Zeit unsere Verwunderung in den Griff zu bekommen und unsere Wunden zu lecken.

Ich denke aber, er hat uns auch ein Geschenk hinterlassen.

Nämlich: die Chance auf einen Neuanfang.

Den Abgang der Person Hansen haben wir wohl mittlerweile weitestgehend verdaut. Die Beseitigung des Systems Hansen steht uns allerdings noch bevor.

Was ist nun das System Hansen?

Ist es die fast schon diktatorische Beherrschung des Apparates und der Gremien?

Ist es die konsequente Unterdrückung anderer Meinungen und Standpunkte?

Ist es der beharrliche Aufbau einer ausschließlich ihm hörigen Gewerkschaft?

Ist es die fast schon manische Konfrontation mit dem DGB und seinen Gewerkschaften?

Ist es sein gemeinsames Auftreten mit Mehdorn in Europa und der Welt gegen die ausländischen Eisenbahnen und gegen unsere internationalen Kolleginnen und Kollegen?

Es ist auf jeden Fall, und nicht zuletzt, sein zielstrebiges Hin- und Zuarbeiten auf den Börsengang der Deutschen Bahn AG.

Mit Lügen, Verdrehungen, Un- und Halbwahrheiten hat er uns jahrelang den Weg des „kritischen Begleitens“ als den einzigen und richtigen Weg verkauft.

Verkauft hat er damit unsere Mitglieder, die Eisenbahnerinnen und Eisenbahner, die Bahn an sich, die Menschen dieses Landes.

Fast schon hilflos und genervt rief am 1. Mai diesen Jahres der SPD-Bundesvorsitzende Kurt Beck: „Unterhaltet euch mit eurem Vorsitzenden. TRANSNET fordert doch die Privatisierung“.

Und, als hätte Hansen das ganze, noch bevorstehende Desaster gekannt, macht er sich schnell vom Acker. Hin zu den Möhrchen und Möhren. Hin zu den Bonuszahlungen und Gehaltserhöhungen.

Da beschließt, im Juni dieses Jahres, während wir noch um die neue Entgeltstruktur für unsere Kolleginnen und Kollegen kämpfen, da beschließt, mal eben so im Vorbeigehen, der vierköpfige Personalausschuss des Aufsichtsrates üppige Bonuszahlungen für Bahnvorstände. Quasi on Top zu den bis zu 20%igen Gehaltserhöhungen zum Jahresbeginn.

Und es scheint so, als hätte Hansen, ganz getreu dem Motto: „Ein kluger Mann macht nicht alle Fehler selbst. Er gibt auch anderen eine Chance“, den schwarzen Peter an seinen Nachfolger weiter gereicht. Denn nach bekannt werden der Bonuszahlungen fordert einer der Viererbande des Personalausschusses, Lothar Krauß, „umfassende Aufklärung über angebliche Bonuszahlungen“. „Angeblich, als wenn er es nicht wüsste. Und, damit das Ganze eine andere Stoßrichtung erhält, schiebt man dann schnell den „Achsenbonus“ für Mitarbeiter hinterher.

Diese Scheinheiligkeit haben selbst die unbedarftesten Mitglieder durchschaut.

Tausende haben uns während der Auseinandersetzung mit der GDL verlassen. Für einen weiteren dicken Schub sorgte der verräterische Abgang Hansens.

Und viele, sehr viele Kolleginnen und Kollegen schauen auf und beobachten jetzt diesen Gewerkschaftstag ganz genau. Warten auf ein Signal der Veränderung. Machen ihr weiteres Verbleiben in der TRANSNET davon abhängig.

Deshalb müssen wir alle jetzt miteinander aus höchster Verantwortung heraus zu all den brennenden Fragen Stellung beziehen die uns und unsere Mitglieder draußen bewegen.

Denn unsere Mitglieder lassen sich nicht mehr alles bieten und überstülpen.

Von hier, von diesem Gewerkschaftstag, muss ein Signal ausgehen das lautet:

nicht länger gemeinsam mit Mehdorn an die Börse,

nicht länger üppige Zahlungen für den Bahnvorstand, sondern endlich Lohnerhöhungen für alle Beschäftigten,

nicht länger mit Mehdorn die Bahnwelt erobern, sondern endlich mit unseren ausländischen Kolleginnen und Kollegen für eine starke europäische Staatsbahn einzutreten.

Weg von den Billigachsen und den Mehdorn-Prestige-ICEs und hin zu einer Bahn für die Menschen in diesem Lande.

Da schreien die ganzen Finanz- und Industriemagnaten nach Krediten und Bürgschaften ihrer Regierungen.

Da wird die halbe Welt aufgefordert für Spekulantentum und Misswirtschaft in Billiardenhöhe grade zu stehen und die TRANSNET begrüßt, dass der Börsengang der Bahn mal nur kurz verschoben wird, bis wir alle die größten Löcher mal wieder gestopft haben.

Dabei sollte das weltweite Börsendebakel uns endlich Mahnung genug sein, irgendwelchen renditehungrigen Spekulanten unser letztes großes Staatsunternehmen zum Ausweiden in den Rachen zu werfen.

Lasst mich den kurzen, treffenden Satz eines englischen Kollegen in Erinnerung rufen:

It´s all about money“, „Es geht immer nur ums Geld“!

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

ehrlich gesagt, möchte ich das, was wir in den letzten Monaten und Jahren als Mitglieder, als Funktionäre, als Gewerkschaft, erleben mussten, nicht noch mal erleben.

Die Auseinandersetzung mit dem DGB

Der Tarifkampf mit der GDL.

Der Abgang Hansens.

Der Mitgliederrückgang.

Die Beitragserhöhung.

Die Bonizahlungen.

Die Unzufriedenheit vieler Mitglieder mit der neuen Entgeltstruktur.

Und ne halbe Woche vor unserem Gewerkschaftstag der Austausch des Kandidaten zum Vorsitzenden.

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,

Geradlinigkeit, Unbestechlichkeit und aufrechter Gang, auch unter politisch widrigen Verhältnissen, Standhaftigkeit, Konsequenz im gewerkschaftlichen Handeln, Kontinuität, all das sind die kämpferischen Traditionen und Werte der Gewerkschaftsbewegung.

Heute Nachmittag wählen wir einen neuen TRANSNET-Vorsitzenden und einen neuen Geschäftsführenden Vorstand.

Wir tragen damit eine hohe Verantwortung. Verantwortung für die TRANSNET, Verantwortung für diese Bahn, Mitverantwortung für die Verkehrspolitik in diesem Lande, in Europa.

Machen wir unsere Wahl davon abhängig, in wieweit die Kandidaten bereit sind, dieser Verantwortung, diesem Auftrag gerecht zu werden und nachzukommen.

Wählen wir endlich eine Gewerkschaftsspitze, die unseren Mitgliedern wieder das Gefühl und die Sicherheit vermittelt, gegen den Börsengang und für eine Staatsbahn unter demokratischer Kontrolle einzustehen.

In der letzten Woche hat nun schon der zweite Vorsitzende in diesem Jahr erklärt, nicht mehr zur Verfügung zu stehen.

Nun sagt man ja auch: aller guten Dinge sind drei!

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

Geschäftsberichte sollen Rechenschaft über die geleistete Arbeit, Erfolge und Misserfolge, abgeben. Sie sollen aber auch aufzeigen: was waren unsere Fehler? Was lernen wir daraus? Was müssen wir zukünftig anders, besser machen?

Der uns nun vorliegende Vorschlag für unseren neuen Vorsitzenden lautet Alexander Kirchner.

Ich denke, es ist gar nicht so ausschlaggebend, welcher Name von diesem Gewerkschaftstag als Signal ausgeht, sondern vielmehr werden unsere Mitglieder, aber auch Bahnvorstand und Politik, darauf achten, welche Beschlüsse, welche Standpunkte, welche Botschaften hier verabschiedet und von dem neuen Vorstand kämpferisch nach außen getragen werden.

Es hängt nicht von der Einsicht des Bahnvorstandes ab, ob es uns besser oder schlechter zu gehen hat. Sondern es hängt allein von der Kraft ab, die wir als Gewerkschaftsorganisation zu entwickeln vermögen.

Wenn ich das hier ausspreche, so tue ich es, damit die Gewerkschaftsorganisation wieder ein Fundament bekommt.

Ein Fundament, dass stark genug ist, um uns in den ganzen Widerwärtigkeiten denen wir entgegen gehen, das Rüstzeug zu geben, mit dem wir unseren Kolleginnen und Kollegen Weg und Richtung zu zeigen vermögen.

Wir müssen bereit sein uns mit allen zur Verfügung stehenden gewerkschaftlichen Mitteln einen gerechten Anteil am Sozialprodukt zu sichern.

Ich sage weiter: wenn es eine zeit gegeben hat, in der die deutschen Arbeitnehmer erkannt haben, dass die Gewerkschaft ihr sicherster, ihr einziger Hort ist, dann ist es diese Zeit gewesen, wo es Demonstrationen, Kundgebungen und Streiks gab.

Wir haben heute den Auftrag, Fragen und Forderungen an den neu zu wählenden Vorstand unserer TRANSNET zu stellen.

Macht auch ihr von deren Antworten Eure Wahl abhängig.

Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.



www.bahnvonunten.de