"Interview"(*) mit Norbert Hansen:
"Wer nicht kämpft hat schon verloren" 

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Frage: Kollege Hansen, manche Skeptiker in unserer Gewerkschaft meinen, eine kritische innergewerkschaftliche Diskussion über einen Börsengang schade der Transnet und bringe Wasser auf die Mühlen der gewerkschaftlichen Konkurrenz. Wie siehst Du das?

Antwort: Mit Interesse "besuche" ich hin und wieder eure Homepage. Dass es kritische Stimmen auch zur Politik der TRANSNET gibt finde ich gut. Das zeigt u.a., dass die innergewerkschaftliche Demokratie funktioniert und wir keine Spalter zur Motivation brauchen.

Frage: Manche machen uns den Vorwurf, wir würden zu viel über das schlechte Beispiel England reden und dies sei mit der Lage in Deutschland gar nicht vergleichbar. Was lehrt uns denn das Beispiel England?

Antwort: Schaut mal auf die zergliederte und zerfledderte Eisenbahn in England. Das ist doch ein Drama was dort passiert. Das ist das Ergebnis einer verfehlten Bahnpolitik. Wie in England, so ist auch bei uns die Regierung für die Bahnpolitik voll verantwortlich.

Frage: Was bedeutet dies für unsere jetzt anstehenden Entscheidungen? Was steht denn auf dem Spiel? Warum, Kollege Hansen, sollte der Bund die Bahn nicht aus der Hand geben?  

Antwort: Wenn die Ursachen der katastrophalen Entwicklung im Schienenverkehr nicht beseitigt werden, ist die Hälfte des heutigen Netzes von der Stilllegung betroffen. Wir brauchen mit der Schiene kein Profit-Netz, sondern ein Mobilitätsnetz für Bürger und Wirtschaft.
Die entscheidende Frage ist zu beantworten, ob es eine kleine, feine Profitbahn oder ein umfassendes Mobilitätsnetz für Bürger und Wirtschaft geben wird. So etwas kann der Bund dem Bahn-Management nicht überlassen. Leider verfehlt die Unternehmenspolitik des Bahnchefs bisher das Hauptziel der Bahnreform, mehr Verkehr auf die Schiene zu bringen.

Frage: Du sprichst verfehlte Managemententscheidungen an. Die Bundesbetriebsrätekonferenz in Karlsruhe 2004 fordert nun: Alle Umstrukturierungen, die im DB-Konzern mit dem Ziel eines Börsengangs bzw. Verkaufs vorgenommen werden, Unsummen verschlingen und die Eisenbahnerinnen und Eisenbahner von ihren eigentlichen Aufgaben ablenken, sind sofort zu stoppen bzw. rückgängig zu machen. Was für Erfahrungen der Kolleginnen und Kollegen liegen wohl diesem Beschluss zugrunde?

Antwort: Zu viel Energie und Motivation wurde durch Aufspaltungen in viele Teilunternehmen vergeudet. Und dann erwarten sie im Bahnvorstand, dass die Beschäftigten wie in einem Unternehmen arbeiten. Das kann doch gar nicht funktionieren. Das sind die faulen Früchte des Reorganisationsdeliriums. Outsourcen, schrumpfen und Leute raus werfen kann Börsianer vielleicht erfreuen. Auf jeden Fall macht es McKinsey reicher. Aber es macht kein Unternehmen innovativer.

Frage: Das sind klare Aussagen, Kollege Hansen. Was hast Du denn gegen das DB-Management? Als stellvertretender DB-Aufsichtsratsvorsitzender hast Du ja Einblick in das Geschehen auf der Chefetage.

Antwort: Im Bahnvorstand gibt es offenkundig einige Katastrophensüchtige. Diese Katastrophensucht ist in einigen Vorstellungen des Bahnvorstands zu erkennen. Herr Mehdorn, mit diesen Maßnahmen führen Sie die Bahn in die Katastrophe. Soviel Verzicht, so viele Opfer, soviel Kapitulation, das finden wir sonst bei Managern, die sich von nichts anderem als Appetitzüglern ernähren. Das passt nicht zu unserem Unternehmen. Wir brauchen keine magersüchtige Eisenbahn.
Wir beklagen die vielen zielgerichteten Schritte in die Katastrophe, damit führen sie alles zum Misslingen. Wir sagen dazu nein und nochmals nein.

Frage: Aber Manager einer Aktiengesellschaft, die an die Börse soll, sind doch dazu angehalten, die Kosten im Interesse der künftigen Aktionäre niedrig zu halten.

Antwort: Wie wirkt sich so eine Politik der reduzierten Kosten aus? De-Investition belastet und belästigt Kunden und Beschäftigte. Oder nennt man das vergraulen und demotivieren?

Frage: Die Bundesregierung will die Bahn offenbar privatisieren. Was steht damit auf dem Spiel?

Antwort: Stellt euch einmal folgendes vor: die Bahn ist börsenfähig. Sie erwirtschaftet vielleicht zweistellige Renditen. Aber sie verbindet nur noch 10 Städte miteinander. Hier erbringt sie also nur einen Bruchteil ihrer bisherigen Verkehrsleistung. Davon hat niemand etwas. So ein Weg ist nicht nur voller Gefahren, sondern mörderisch. Nein, das werden wir nicht zulassen, so ein Weg führt uns in eine verkehrspolitische und beschäftigungspolitische Katastrophe. Und das sehenden Auges. Oder sind die anderen um uns herum blind?

Frage: Und was fordert unsere Gewerkschaft, um diese Katastrophe zu verhindern?

Antwort: Die Erhaltung einer einheitlichen, flächendeckenden und bundeseigenen Bahn im Interesse der Beschäftigten, der Umwelt und der Kunden. Kein Börsengang! Kein Ausverkauf - weder an ausländische noch an inländische Kapitalgruppen!

Frage: Warum legt der Beschluss unseres Gewerkschaftstages vom November 2000 so explizit Wert auf den Erhalt einer bundeseigenen Bahn?

Antwort: Entscheidendes Kriterium für diese Position ist die Überzeugung, dass derzeit jegliche Form der materiellen Privatisierung nicht mit den Interessen der Beschäftigten vereinbar ist. Viele überzeugte Gewerkschafter/innen sehen öffentliche Eigentumsstrukturen als beste Betriebsvoraussetzung für die Bahnen, da so eine soziale Dimension des Betriebs am ehesten gewährleistet werden kann.

Frage: Nun gibt es unter Kolleginnen und Kollegen auch die Auffassung, unsere Gewerkschaft solle sich statt eines Kampfes mit ungewissem Ausgang lieber auf die sichere Seite schlagen und den Börsengang aktiv mitgestalten.

Antwort: Wir wissen seit gestern spätestens, dass uns in den kommenden Zeiten noch härtere Auseinandersetzungen bevorstehen werden. Wir wissen auch, dass wir nicht sicher sein können, dass wir alle unsere Ziele optimal erreichen werden. Aber wenn wir so weiter machen wie bisher und mit Entschlossenheit, Mut und auch mit Risiko für unsere Position eintreten, dann wird es sich lohnen, für ein Ergebnis zu streiten, das wir heute nicht kennen. Das Motto ist: "Wer kämpft, kann verlieren. Wer nicht kämpft, hat schon verloren."

Frage: Das PRIMON-Gutachten blendet die Interessen der Eisenbahnerinnen und Eisenbahner weitgehend aus und untersucht nur Varianten der Privatisierung, nicht aber Varianten einer Bahn im öffentlichen Eigentum. Worum geht es den Verfechtern des Börsengangs wirklich?

Antwort: Um eine Privatisierung der Gewinne und Sozialisierung der Verluste. Anstatt nur über verschiedene Varianten der Privatisierung zu reden, muss nun auch über einen „Plan B“, also einen „Plan Bund“ diskutiert und somit untersucht werden, ob der Bahnkonzern nicht im vollständigen Eigentum des Bundes bleiben sollte. Eigentlich haben wir zur Zeit einen Plan-B, also ein Unternehmen in Bundeshand, und es funktioniert.

Frage: Die Mehrheit der Verkehrspolitiker will aber ganz offensichtlich die Deutsche Bahn zerschlagen und privatisieren. TRANSNET und GDBA haben für diesen Fall Streiks schon während der bevorstehenden Fussball-WM angekündigt. Bleibt es dabei?

Antwort: Wenn die Bahn zerschlagen werden soll, muss die Bundesregierung mit unserem entschiedenen Widerstand rechnen. Schon wenn eine Regierung ein entsprechendes Gesetzesvorhaben einleitet, sind Warnstreiks möglich – auch flächendeckend. Wenn es notwendig wird, werden die Politiker, die die Zerschlagung des Eisenbahnsystems wollen, eben die Verantwortung dafür übernehmen müssen, wenn alle Züge in Deutschland stillstehen, bis solche Absichten beerdigt sind.

Frage: Kollege Hansen, könntest Du bitte folgenden Satz vervollständigen: Im ureigenen Interesse unserer Mitglieder und aller Eisenbahnerinnen und Eisenbahner ...

Antwort: ... werden wir unsere Möglichkeiten nutzen, einen Börsengang der DB AG zu verhindern und das Thema Börsengang ad acta zu legen.

Kollege Hansen, wir bedanken uns für diese klaren Aussagen.

Interview: Richard Färber, 17.4.2006



(*) Wir geben zu: Dieses "Interview" hat nie stattgefunden. Allerdings sind die "Antworten" allesamt O-Töne von Norbert Hansen bzw. von Beschlüssen und Veröffentlichungen, die unter maßgeblicher Mitwirkung des Kollegen Hansen zustande gekommen sind. Wir haben die Zitatenkiste kräftig durchgerüttelt und diese Form des "Interviews" gewählt, um klare gewerkschaftliche Positionen zu brennenden aktuellen Fragen zu verdeutlichen.
Bei der jetzt drohenden materiellen Privatisierung würden unsere Interessen und viele von uns auf der Strecke bleiben. Wir müssen uns wehren. Jetzt ist der Transnet-Hauptvorstand am Zug. Geredet wurde genug – jetzt muss gehandelt werden.