Der Global Player hängt die Fläche ab
Weitere Stilllegung von ländlichen Strecken und Haltepunkten?

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Als schweren Schlag für die Bewohner ländlicher Regionen haben Verbraucherschützer, DGB und  Verkehrsminister der Länder Meldungen über Pläne von Bundesverkehrsminister Tiefensee kommentiert, Bundesmittel für weniger stark frequentierte Personenbahnhöfe und Haltepunkte einzustellen. Nach einem Bericht der Financial Times Deutschland will der Minister Bundeszuweisungen an die Länder für Stationen mit weniger als 100 Ein- und Ausstiegen pro Werktag einstellen. Aus Anlage 7.4 zur sogenannten „Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung“  (LuFV) im Zusammenhang mit der angestrebten Bahnprivatisierung gehe hervor, dass Verbesserungs- und Ausbaumaßnahmen für den Schienenpersonennahverkehr, deren Umsetzung volkswirtschaftlich nicht zu vertreten ist, zu unterlassen" seien, meldet das Blatt.

Weiter heißt es in dem Bericht, dass laut Tiefensee-Entwurf auch alle Strecken mit weniger als 1.000 Reisenden-Kilometern pro Tag nicht mehr gefördert werden sollten. Dies gelte auch für Bahnhöfe „mit aufwendigen Bahnsteigen“ und barrierefreien Zugängen.

Diese neuerlichen Meldungen über die negativen Begleiterscheinungen einer Kapitalprivatisierung haben beim Bundesverband der Verbraucherzentralen (vzbv) und dem Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) die Alarmglocken schrillen lassen. In einer gemeinsamen Erklärung forderten sie am Dienstag Bundestag und Bundesrat auf, den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Bahnprivatisierung abzulehnen, weil er gegen die im Grundgesetz geforderte gemeinwohlorientierte Entwicklung des Schienenverkehrs verstoße und Steuerzahler und Verbraucher Milliarden Euro koste. Der „nicht annehmbare und verfassungsrechtlich problematische Gesetzesentwurf, der die Zukunftsfähigkeit der Bahn verschlechtert statt sie zu verbessern“, sei keine geeignete Grundlage für die parlamentarische Beratung und müsse daher aus dem Verkehr gezogen werden. Arbeitsplätze, Verbraucherwünsche und die Zukunftsfähigkeit der Bahn stünden auf dem Spiel. Auch zeigten aktuelle Umfragen, dass zwei Drittel der Bevölkerung gegen die Privatisierung der Bahn seien. Kein Finanzminister werde die drohende Verschleuderung von Volksvermögen und staatliche Subventionierung privater Renditeinteressen den Steuerzahlern erklären können, betonte vzbv-Chef Gerd Billen. DGB-Vorstandsmitglied Claus Matecki forderte eine Weichenstellung „für ein nachhaltiges Verkehrssystem“, zumal Deutschland bei den Schieneninvestitionen einen Platz im letzten Drittel der EU-Statistik belege.

Das Bundesverkehrsministerium bestritt am Dienstag Absichten zur Schließung von Personenbahnhöfen. Die zitierte Passage einer Anlage zur Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung gelte „lediglich für Neu- und Ausbaumaßnahmen von Strecken“ und basiere auf einem „bereits im Jahr 2006 mit allen Bundesländern abgestimmten Verfahren“, erklärte der Sprecher des Hauses, Rainer Lingenthal in einem lauwarmen Dementi..

Absichten zum Abhängen gering frequentierter Stationen und Strecken passen allerdings voll und ganz zu Tiefensees Strategie, aus der Deutschen Bahn eine Fernbahn und einen „Global Player“ zu machen, der ganz Europa, den Land-Containerverkehr von und nach China, die Weltmeere und Lüfte beherrscht. So wie die privatisierte Deutsche Post auf ihrem Weg zur Weltherrschaft die Bewohner ländlicher Regionen abgehängt und ihnen Briefkästen und Postfilialen weggeschnappt hat, spielen auch für die Bahn-Manager die Bewohner abgelegener Gebiete keine Rolle mehr.

In der ARD-Talksendung Anne Will hatte Minister Tiefensee am Sonntag abend noch einmal bekräftigt, dass sich die Deutsche Bahn jetzt zunehmend weltweit engagieren werde. Konkret nannte er dabei als mögliche Kaufobjekte die Bahnen in Tschechien und Ungarn. Dieser „Drang nach Osten“ hat Methode. Als Protagonist der Bahnprivatisierung begründet der Minister die vorgebliche „Notwendigkeit“ einer Privatisierung damit, dass er Zugang zu „frischem Kapital“ benötige, um die Deutsche Bahn „europaweit konkurrenzfähig“ zu machen und Wettbewerbern auf deutschen Gleisen Paroli zu bieten.

Erst kürzlich hatte der DB-Konzern die spanische Güterbahn Transfesa sowie die aus der Zerschlagung der ehemaligen Staatsbahn British Rail hervorgegangene Güterverkehrsgesellschaft EWS erworben. Insider gehen davon aus, dass die Deutsche Bahn die Summe von 60 Milliarden Euro auftreiben müsse, um ihre Einkaufspläne zu realisieren.

Als legale Begründung für die Privatisierungs- und Expansionspläne muss neuerdings auch das „Dritte Eisenbahnpaket“ der EU herhalten, das vor zwei Wochen vom Europäischen Parlament verabschiedet worden war. Demnach wird der Schienenpersonenfernverkehr ab 2010 europaweit liberalisiert. Dies könnte einen gigantischen Wirtschaftskrieg zwischen der Deutschen Bahn und der französischen Noch-Staatsbahn SNCF auslösen. Beide Chefetagen beobachten mit Argwohn, wie die jeweils andere Seite expandieren will und benutzen zunehmend kriegerisches Vokabular, um ihre Beschäftigten gefügig zu machen. Während jedoch die maßgeblichen französischen Bahngewerkschaften CGT-Cheminots und SudRail eindringlich vor einer Liberalisierung und Privatisierung des Eisenbahnwesens warnen und auch dagegen nächste Woche auf die Straße gehen werden, herrscht bei den traditionellen deutschen Bahngewerkschaften Transnet, GDL und GDBA diesbezüglich Funkstille.
(9.10.2007
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