Warnstreiks und Tarifabschluss bei der Deutschen Bahn
Tarif-Aktionismus statt Abwehrkampf gegen Privatisierung
Zur aktuellen Lage an der Tariffront

 

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„Alle Räder stehen still, wenn Dein starker Arm es will.“ Diese alte Parole der Arbeiterbewegung hat sich in den Warnstreiks bei der Deutschen Bahn Anfang Juli 2007 bewahrheitet, als Mitglieder der Bahngewerkschaften TRANSNET, GDBA und GDL in den Morgenstunden drei Tage lang den Berufs-, Reise- und Güterverkehr auf der Schiene weitgehend lahm legten. Schon wenige hundert oder tausend Lokführer, Fahrdienstleiter, Zugbegleiter oder andere Beschäftigte im Betriebsdienst können heutzutage den Transport blockieren und damit aller Welt zeigen, dass ohne ihren Willen nichts mehr auf den Gleisen rollt.

In den bestreikten Bahnhöfen herrschten für kurze Zeit französische Verhältnisse – mit Massen gestrandeter Fahrgäste, die ganz überwiegend Verständnis für die Streiks zeigten und die persönlichen Unannehmlichkeiten auf sich nahmen. Laut Umfragen sympathisierten über 70 Prozent der Bevölkerung mit den Streiks.

Durchweg war die Streikbereitschaft sehr hoch. Wo immer Gewerkschaftsbeauftragte mit den Aufrufen, Fahnen und Streikwesten auftauchten, legten die zum Warnstreik aufgeforderten Arbeiter und Angestellten überwiegend sofort die Arbeit nieder, als hätten sie auf diesen Moment schon lange gewartet.

Kein Wunder: Eisenbahnerinnen und Eisenbahner haben in den letzten Jahren viele Opfer für den anvisierten Börsengang gebracht und einen Rückgang der Realeinkommen erlitten. Der Rekord-Gewinn des Bahnkonzerns, den DB-Chef Mehdorn bei der jüngsten Bilanz-Pressekonferenz der Öffentlichkeit verkündete, ist in erster Linie auf dem Rücken und den Knochen der Beschäftigten zustande gekommen. Die bis 2010 vereinbarte „Beschäftigungssicherung“ hat Haken und Ösen und wurde vor allem mit deutlichen Lohnopfern bezahlt. Bei zunehmendem Personalabbau auf allen Ebenen wird ein reibungsloser Betriebsablauf immer schwieriger. Eisenbahner aus den unterschiedlichsten Bereichen beklagen, dass viele für eine langfristige Substanzerhaltung notwendige Investitionen und Anschaffungen zurückgestellt wurden, um auf dem Papier die „Börsenfähigkeit“ des Konzerns herzustellen.

Die vom Bahnmanagement eisern verordneten Einsparungen bei Mensch und Material wirken sich mittlerweile kontraproduktiv und ökologisch schädlich aus. So wurden Arbeitsplätze und Kapazitäten bei der Güterverkehrssparte Railion inzwischen so weit abgebaut, dass Railion an der Kapazitätsgrenze angekommen ist. Das Problem könnte sich verschärfen, wenn etwa durch längere Trockenheit der Wasserstand großer Flüsse so weit fällt, dass Binnenschiffe nur noch mit reduzierter Last einsetzbar sind und kurzfristig mehr Schienentransport angefragt wird.

So hat ein auf Privatisierung und organisatorische Zerschlagung der Bahn in weit über 200 Tochtergesellschaften getrimmtes DB-Management über Jahre und ohne effektiven Widerstand der Gewerkschaften große Unzufriedenheit geschaffen. Weil der Druck im Kessel zunimmt, sahen sich die Gewerkschaftsapparate gezwungen, den Unmut in „sichere Bahnen“ zu lenken und ein Ventil zu öffnen, um eine Explosion des Kessels zu verhindern. Doch während viele Gewerkschafter bei Post und Telekom derzeit ihren Kollegen von der Bahn dringend von jeder Art der Privatisierung abraten, sind die drei Bahngewerkschaften von einem gemeinsamen Abwehrkampf gegen die Privatisierung weiter entfernt denn je.

Angesichts der von DB-Chef Hartmut Mehdorn verkündeten Rekordgewinne des Bahnkonzerns war das Verlangen nach einer kräftigen Einkommenserhöhung unausweichlich. So lag die von den Gewerkschaften TRANSNET und GDBA aufgestellte Lohnforderung in Höhe von 7 Prozent, mindestens aber 150 Euro Festbetrag im Monat für die unteren Lohngruppen, über der 6,5-Prozent-Forderung der IG Metall.

Doch schon nach wenigen Warnstreiks ließ die Streikleitung ab dem 5. Juli alle weiteren Kampfmaßnahmen abblasen und begab sich in einen Verhandlungsmarathon mit dem DB-Management. Am 9. Juli wurde dann ein „Durchbruch“ verkündet. Das Ergebnis 4,5 Prozent Entgelterhöhung sieht auf den ersten Blick imposant aus, zumal auch die mächtige IG Metall Anfang Mai nur 4 Prozent durchgesetzt hatte. Allerdings wird es diese Einkommensanhebung erst zum 1.1.2008 geben. Für das zweite Halbjahr 2007 wurden 600 Euro Pauschalbetrag für alle vereinbart. Abgesehen davon ist wieder einmal der als „soziale Komponente“ geforderte Sockelbetrag von 150 Euro nicht umgesetzt worden. An den Armutslöhnen im Bahn-Konzern für viele tausend Beschäftigte wird sich kaum was ändern. Nach den ebenso starken wie kurzen Warnstreiks sind sich viele sicher: Mit mehr und längeren Warnstreiks hätten wir mehr herausholen können.

Die Berufsgewerkschaft GDL hingegen, in der die Mehrheit der DB-Lokomotivführer organisiert ist, will das Tarifergebnis vom 9. Juli nicht übernehmen. Sie war schon 2002 aus der Tarifgemeinschaft mit TRANSNET und GDBA ausgeschieden und kämpft für einen separaten Spartentarifvertrag nur für das Fahrpersonal. Angesichts der besonderen Verantwortung der Lokführer fordert sie eine kräftige Anhebung insbesondere der Einstiegsgehälter für Lokführer. Sie sieht sich durch die Streiks der Ärzteorganisation Marburger Bund im letzten Jahr und die Pilotenvereinigung Cockpit ermuntert. Das DB-Management hingegen zeigt der GDL die kalte Schulter und lehnt kategorisch ab, so DB-Personalchefin Margret Suckale. Auf Antrag der DB sprachen Arbeitsgerichte in Düsseldorf und Mainz am 9. und 10. Juli ein Verbot der GDL-Warnstreiks aus.

Nach ergebnislosen Verhandlungen mit dem DB-Management am 13. Juli wurden die Gespräche auf den 19. Juli vertagt. Sollte es dann zu keiner Annäherung kommen, will die GDL weiter streiken und den DB-Vorstand in die Knie zwingen.

Spaltung der Belegschaft

Gegenüber der GDL zeigt sich die DB-Spitze derzeit hart. Obwohl deutsche Arbeitgeber in aller Regel gerne Zwietracht unter den Beschäftigten säen und davon profitieren, zerbricht sich ausgerechnet DB-Personalchefin Margret Suckale den Kopf der Gewerkschafter und warnt vor einer „Spaltung der Belegschaft durch einen separaten Tarifvertrag für eine Berufsgruppe“. Dieser scheinbare Widerspruch ist leicht aufzuklären: Der DB-Vorstand möchte mit aller Macht an die Börse. Um die Teilprivatisierung des (noch bundeseigenen) Konzerns durchzusetzen, braucht er die Unterstützung der Politik und der Gewerkschaften TRANSNET und GDBA. Mit dem (auf den ersten Blick imposanten) 4,5-Prozent-Ergebnis konnte sich der TRANSNET-Vorstand am 11. Juli bei einem außerordentlichen Gewerkschaftstag als „ebenso kämpferisch wie erfolgreich“ feiern lassen. Der TRANSNET-Vorsitzende Norbert Hansen, stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender der Deutschen Bahn AG, holte sich gleichzeitig von den Delegierten die Zustimmung zur „Mitgestaltung“ eines Börsengangs ein.

Die GDL ihrerseits hat den Mund voll genommen und große Erwartungen geweckt, die sie ohne volle Konfrontation mit dem DB-Management nicht einmal annähernd erfüllen kann. Nach dem abrupten Streikabbruch der Tarifgemeinschaft TRANSNET-GDBA sehen die meisten DB-Lokführer derzeit in der GDL eine Möglichkeit, ihren Unmut auszudrücken und Kampfbereitschaft zu demonstrieren. Die Masse der Eisenbahnerinnen und Eisenbahner hat auch nach dem Abschluss vom 9. Juli angesichts der Verantwortung und der besonderen Belastung durch Schichtarbeit viel zu wenig in der Tasche. Dies gilt indes nicht nur für Lokführer, Zugbegleiter und Bordpersonal in den Bistros, sondern auch für viele andere Beschäftigte, die in der Welt der GDL nicht vorkommen und mit denen diese Berufsgewerkschaft nichts am Hut hat, die aber für einen reibungslosen und sicheren Betriebsablauf ebenso unverzichtbar sind wie Lokomotivführer.

Anders als TRANSNET gehört die GDL nicht dem DGB, sondern ebenso wie die GDBA dem (tendenziell CDU/CSU-nahen) Deutschen Beamtenbund (DBB) an. GDL-Boss Manfred Schell ist ebenso wie etliche andere Spitzenfunktionäre seines Verbands seit Jahrzehnten CDU-Mitglied. Wenn sich die GDL in diesen Tagen medial als kämpferische Speerspitze der Arbeiterbewegung in Szene setzen und dafür auch in linken Kreisen Sympathie finden kann, dann hat dies auch mit dem „Schmusekurs“ der großen DGB-Gewerkschaft TRANSNET gegenüber dem DB-Management zu tun. Seit Jahren propagiert der TRANSNET-Apparat eine „konstruktive Mitwirkung“ an einem Börsengang der Bahn im Schulterschluss mit DB-Chef Hartmut Mehdorn. Dies bereitet vielen DB-Beschäftigten großes Unbehagen, weil sie sehen, was bei Post und Telekom nach einem Börsengang angerichtet wurde und auf sie zukommen wird, sobald einmal die ersten Aktienpakete an private Investoren verkauft sind und nur noch maximale Rendite zählt.

Wenn der GDL-Vorsitzende Manfred Schell indes die „privatisierungsfreundliche Politik“ der gewerkschaftlichen Konkurrenz geißelt und behauptet, „stets gegen die Privatisierung der Deutschen Bahn aufgetreten“ zu sein, so setzt er damit auf Vergesslichkeit. Zwar ist es richtig, dass Schell als CDU-Bundestagsabgeordneter 1993 zusammen mit der PDS und einem SPD-Dissidenten im Deutschen Bundestag gegen den Einstieg in eine Bahnprivatisierung durch Überführung der Bundesbahn (West) und Reichsbahn (Ost) in die Deutschen Bahn AG (eine Aktiengesellschaft in Bundesbesitz) stimmte. Doch schon wenige Monate später wollte der Abgeordnete Schell von seiner Parole „Gemeinwohl statt Privatisierung“ nichts mehr wissen und votierte in namentlicher Abstimmung 1994 für die Privatisierung von Post und Telekom.

Seither hat sich in der GDL kein wesentlicher Widerspruch gegen eine Privatisierung mehr erhoben. „Vom Grundsatz her haben wir nichts gegen einen Börsengang", erklärte Schell Anfang 2004 in einem Presseinterview (jungeWelt 17.1.2004). „Mit großer Zufriedenheit haben wir die politische Weichenstellung des Koalitionsausschusses zur Teilprivatisierung der Bahn zur Kenntnis genommen“, kommentierte die GDL im November 2006 die Entschließung des Koalitionsausschusses der Großen Koalition zur Bahnprivatisierung und überschrieb eine Presseerklärung mit den Worten „GDL-Forderungen wurden erfüllt“.

TRANSNET wie GDL beteuern gleichermaßen, dass sie „eigentlich keine Privatisierung“ fordern. De facto vertreten sie heute nur unterschiedliche Varianten der Privatisierung als das jeweils „kleinere Übel“. Dabei liegen diesen unterschiedlichen Modellen vor allem unterschiedliche und entgegengesetzte Interessen potentieller Investorengruppen zu Grunde. Hansen stellte eine Teilprivatisierung der DB AG durch Verkauf von bis zu 49 Prozent der Aktien als Schutz vor der Zerschlagung der Bahn und „totalen Privatisierung“ dar. Die GDL hingegen fordert, „dass das Netz bei einem Börsengang aus dem Konzern herausgelöst wird und in der Verfügungsgewalt des Eigentümers Bund verbleibt“. Dies käme den derzeitigen britischen Zuständen nahe; dort ist das Schienennetz wieder in staatlicher Obhut, während alle anderen Bereiche fragmentiert und in privater Hand sind. Schell und Hansen ignorieren, dass britische Gewerkschaften vor einer Zerschlagung und Filetierung des Systems Bahn ebenso warnen wie vor dem Verkauf auch nur einer einzigen Bahnaktie an private Investoren. Insofern haben beide nichts aus dem britischen Privatisierungsdesaster gelernt.  

Schulterschluss statt „Teile und Herrsche“!

So berechtigt die Forderung nach viel höheren Einkommen und besseren Arbeitsbedingungen ist – angesichts der großen Herausforderung in diesen Monaten wirkt der tarifpolitische Aktionismus dieses Sommers wie ein groß inszeniertes Ablenkungsmanöver. Die Bundesregierung möchte noch in diesem Jahr eine Teilprivatisierung der DB AG durch Bundesrat und Bundestag beschließen lassen und setzt dabei auf das Wohlverhalten der drei Bahngewerkschaften.

Während der TRANSNET-Vorstand seinen Mitgliedern einzureden versucht, dass er allein durch Nähe zu DB-Chef Mehdorn und Verkehrsminister Tiefensee die Privatisierung menschlich gestalten könne, sieht sich die GDL schon als „Gewinner der Privatisierung“ (nachzulesen im GDL-Mitgliedermagazin VORAUS 5/2007). „Lokführer braucht man immer“, lautet ihre Devise. Da Lokführer derzeit Mangelware seien, habe die GDL auch alleine und gegen den Rest der Welt stets gute Chancen, gute Löhne zu vereinbaren. So sei es letztlich „egal, ob unsere Lokführer bei einer staatlichen oder einer privatisierten Bahn beschäftigt sind“, meint Schell.

Ein verhängnisvoller Irrtum, denn bei der – im Grunde von Schell und Hansen gleichermaßen unterstützten – Privatisierung werden alle Eisenbahnerinnen und Eisenbahner – Gewerkschaftsmitglieder wie Unorganisierte – die Leidtragenden sein. Die Erfahrung mit der Telekom zeigt uns: Trotz Rekordgewinnen möchten die privaten Anleger immer höhere Renditen. Der Druck Richtung Lohndumping steigt. Der Konzern wird immer mehr zerschlagen – zum Nachteil der Beschäftigten und der breiten Masse der Kunden.

Unterdessen haben sich in den letzten Monaten der DGB-Bundesvorstand, IG Metall und ver.di wie auch die SPD-Landesverbände Berlin, Brandenburg, Saarland und Baden-Württemberg gegen die Bahnprivatisierung positioniert. Somit besteht in den kommenden Monaten immerhin noch eine Chance, die angedachte Privatisierung zu stoppen. Doch die Spitzen der drei Bahngewerkschaften zeigen sich davon völlig unbeeindruckt und betreiben weiter ihr „Business as usual“.

Während sich die GDL mit ihrer Tarifforderung nach wie vor nicht geschlagen gibt und die Zwietracht und Konfrontation zwischen den verschiedenen Gewerkschaften zunimmt, gibt es an der Basis aller Bahngewerkschaften kritische Stimmen, die ein einheitliches Vorgehen gegen die größte Herausforderung – die drohende Privatisierung – fordern.

So stellte sich der Betriebsrat der Railion Deutschland AG, im Wahlbetrieb Frankfurt, Ende Juni 2007 im Interesse seiner zu vertretenden KollegInnen gegen jede Form von Privatisierung, Börsengang und Zerschlagung der Deutschen Bahn AG und forderte den vollständigen Verbleib des DB-Konzerns in öffentlicher Hand unter demokratischer Kontrolle. Dieser Betriebsrat vertritt rund 1600 Beschäftigte der Bahn-Güterverkehrssparte in Hessen und Rheinland-Pfalz.

In einer Ende Juni ohne Gegenstimmen von den in TRANSNET, GDL und GDBA organisierten Betriebsratsmitgliedern angenommenen Resolution werden die verantwortlichen Gremien und Funktionsträger aller Eisenbahnergewerkschaften dazu aufgefordert:

  • in diesem Sinne im Interesse ihrer Beschäftigten zu handeln und an einem Strang zu ziehen.
  • sich in klaren Beschlüssen gegen die drohende Privatisierung zu positionieren, weil diese nur einigen wenigen Großaktionären Vorteile, den Beschäftigten, der Allgemeinheit und der Umwelt jedoch große Nachteile bringen würde.
  • die Zusammenhänge und Auswirkungen der Privatisierung ihren Mitgliedern offen darzustellen und zu erläutern.
  • auf die politischen Entscheidungsträger und die Öffentlichkeit entsprechend Einfluss zu nehmen und hierzu alle Möglichkeiten auszuschöpfen.

Die Initiative „Bahn von unten“, ein Zusammenschluss privatisierungskritischer TRANSNET-Mitglieder, fordert die drei Bahngewerkschaften zum Schulterschluss gegen die Privatisierung auf. Die Gewerkschaften müssen jetzt solidarisch zusammenstehen und auf das gegenseitige Abwerben von Mitgliedern verzichten. Ohne Zustimmung der Gewerkschaften, ihrer Betriebsräte und Mitglieder in den Aufsichtsräten des DB-Konzerns wäre eine Privatisierung schwer vorstellbar.

Hans-Gerd Öfinger