Gemeinsam gegen die Privatisierung aufstehen!
Redebeitrag von Hans-Gerd Öfinger (www.bahnvonunten.de) auf der Hamburger Demonstration gegen Bahnprivatisierung am 10. November 2006

 

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10. November 2006: Hamburger TRANSNET-Mitglieder demonstrieren gegen die Bahnprivatisierung

Eigentlich sollte hier ein Kollege reden, der als Lok­führer im Raum Hamburg tätig ist. Leider hat dieser Kollege zur Stunde Dienst und wurde für die Demo nicht freigestellt. Ich betrachte es als eine besondere Ehre, heute bei dieser Demo reden zu dürfen und bin dafür auch gerne 600 km angereist.

Gestern verbreiteten die Medien eine Meldung, in der es sinngemäß hieß: Der Vorstand der Deut­schen Bahn und die Gewerkschaften begrüßen die am Mitt­woch erfolgte Weichenstellung für die Priva­tisierung der DB AG.

Viele Kolleginnen und Kollegen sind darüber scho­ckiert und können es immer noch nicht fas­sen. Wie können Gewerkschaften eine Privatisierung – also eine Niederlage – als Erfolg ihrer Arbeit feiern?

Was da diese Gewerkschaftsvorstände verkündet haben geschieht nicht in unserem Namen. Die Mehr­heit der Bevölkerung und auch die Mehrheit der DB-Beschäftigten ist gegen eine Pri­vatisierung der Bahn.

Die Kolleginnen und Kollegen sind doch nicht blöd. „Kein Ben Q bei der Bahn“ lautet die Auf­schrift auf einem Schild, das ein streikender Eisenbahner kürz­lich beim Warnstreik in Bayern mit sich trug. Das Bild ging durch die Medien.

Die Eisenbahnerinnen und Eisenbahner sehen ge­nau, was bei Post und Telekom nach dem Börsen­gang passierte. „Widerstand jetzt! Gegen Zerschla­gung, Ausgliederung und Lohn­drückerei“, heißt es in einem brandaktuellen ver.di-Flugblatt für die Tele­kom. Wohlgemerkt, die Telekom ist an der Börse und verbuchte Gewinne um die 5 oder 6 Milliarden Euro pro Jahr! „SO kann und darf es nicht weiter gehen!!!! Geschlossenes Handeln aller ist angesagt!!!!!“ So weit das Flugblatt im O-Ton. Das zeigt, was uns demnächst auch nach ei­nem Börsengang der DB blüht!

Im Grunde darf das DB-Management – mit einem Freibrief der Politik ausgestattet – seit 10 Jahren ge­zielt die Bahn auf einen Börsengang hin zurichten und umstrukturieren. Dieses Ma­nagement hat es schon fertig gebracht:

l        dass die Zahl der Beschäftigten um über 200.000 Menschen halbiert wurde

l        dass die Bahn in weit über 200 Tochterge­sellschaften aufgegliedert wurde

l        dass der Arbeitsplatzabbau in vielen Berei­chen weit übers Ziel hinaus geschossen ist und kontraproduktiv geworden ist. Im Güter­verkehr etwa hat eine Steigerung der Nach­frage jetzt an den Tag gebracht, dass dort Lokführer, Loks und Waggons fehlen. Erst wurden viele Beschäftigte rausgeekelt, und danach werden die Verbliebenen dazu er­presst, Überstunden zu arbeiten. Was für ein Irrsinn!

Jede Form der Privatisierung bringt Arbeitsplatzab­bau, Lohn- und Sozialdumping. In Deutsch­land ist der Schienenverkehr weiter liberalisiert als sonst wo auf dem Kontinent. Und zuneh­mend machen sich Zeitarbeitsfirmen breit, die Lokführer und andere Ei­senbahnfachkräfte an Privatbahnen oder auch DB-Töchter vermieten. Auch auf der NO-Bahn, die Veo­lia/Connex ge­hört und den Verkehr zwischen Ham­burg und Westerland/Sylt betreibt, sind inzwischen Lok­führer im Einsatz, die die Mannheimer Leiharbeitsfirma MEV vermietet. Bei Privatbahnen sind die Arbeitsbedingungen in aller Regel deutlich schlechter. Privatbahnen weigern sich gegen den Abschluss eines Flächentarifvertrags.

Es gibt weltweit viele abschreckende Beispiele für eine Bahnprivatisierung – von England über Neusee­land bis Argentinien. In Argentinien wurde das flä­chendeckende Netz durch die Priva­tisierung zer­stört. Die Zahl der Bahnbeschäftigten ging von 100.000 auf 10.000 zurück. Aus all diesen Tatsa­chen haben die meisten Bundestagsabgeordneten offensichtlich nichts gelernt. Oder sie wollen nichts lernen, weil sie ganz andere Interessen im Sinn ha­ben als ein um­weltfreundliches erschwingliches Verkehrsmittel für Menschen und Güter und Mobili­tät für alle.

Noch gibt es im Konzern Deutsche Bahn einen Be­schäftigungssicherungstarifvertrag (BeSiT), der vie­le Eisenbahnerinnen und Eisenbahner bei Wegfall des Arbeitsplatzes vor der Rutsche in Hartz IV be­wahrt. Natürlich hat dieser Vertrag auch viele Haken und Ösen. Er gilt nicht für Beschäftigte mit weni­ger als 5 Jahren Konzernzugehörigkeit und wurde auch mit Urlaubskürzung, Arbeitszeitverlängerung und Lohn­verzicht erkauft. Und schon heute werden in man­chen DB-Tochterbetrieben vor allem im Os­ten Be­schäftigte quasi mit der Pistole an der Schläfe ge­zwungen, sofort eine Arbeit im Konzern am ande­ren Ende der Republik anzuneh­men oder ansons­ten lie­ber gleich per Vertrag „freiwillig“ auszuschei­den. So­bald die materielle Privatisierung beginnt und private Investoren mit am Tisch sitzen, werden diese Inves­toren eine solche Beschäftigungssiche­rung und den anderen – aus ihrer Sicht – „Sozial­klimbim“ hinweg­fegen. Dann könnte es Schlag auf Schlag gehen. Unter diesen Umständen ist dann vor­stellbar, dass etwa viele der bisher im Servicebe­reich tätigen Ei­senbahnerinnen und Eisen­bahner aus Gründen der Kostensenkung erst die Arbeit ver­lieren und dann nach 1-2 Jahren als 1-Euro-„Zwangsarbeiter“ an ihre früheren Arbeitsplätze zu­rückkehren „dürfen“. Und man wird fest­stellen, dass dies im „öffentlichen Inter­esse“ liegt und keinen bestehenden Arbeitsplatz ver­nichtet.

Investoren wollen eine maximale Rendite erzielen und werden die aus den Arbeitskräften mit allen Mit­teln herauszupressen versuchen. Sie werden sich auch die einzelnen renditeträchti­gen Filetstücke her­aussuchen – etwa die Bahnreinigung oder die Werke und die regionalen Tochtergesellschaften der DB-Nahverkehrstochter DB Regio.

So oder so – die Zergliederung und Zerschlagung der Bahn ist längst im Gange. Die Bahn ist ein le­bendiger Organismus. Wenn die Organe einzeln ent­nommen werden, dann ist der Kol­laps vorprogram­miert. Auch DB-Chef Mehdorn ist kein Garant für einen einheitlichen Bahn­konzern. Schon letztes Jahr hat der DB-Vorstand die Deutsche Eisenbahnrekla­me DERG – ein profi­tables Tochterunternehmen – an den Kölner Medienkonzern Ströer verkauft. Die Verkaufsver­handlungen für die Ostseefähren Scandlines laufen derzeit, und das Fernbusunternehmen Deutsche Touring ist schon an einen spanisch-portugiesischen Konzern verkauft.

Der TRANSNET-Hauptvorstand hat kein Mandat der Basis für die Mitarbeit an einem Ausverkauf der Deutschen Bahn. Letztes Jahr gab es landesweit flä­chendeckend Basisdialoge, an denen alle Mitglie­der teilnehmen und ihre Meinung zum Beschäftigungssi­cherungstarifvertrag äußern konnten. In ei­ner noch wichtigeren Frage – nämlich der Privatisie­rung – sind jetzt keine Basis­dialoge geplant. Die Ba­sis wird vor vollendete Tatsachen gestellt.

Die TRANSNET-Position ist klar. Schon der Gewerk­schaftstag 2000 hat beschlossen:

„Für die Erhaltung einer einheitlichen, flächende­ckenden und bundeseigenen Bahn im Interesse der Beschäftigten, der Umwelt und der Kunden. Kein Börsengang! Kein Ausverkauf - weder an ausländi­sche noch an inländische Kapitalgruppen!“

Wir rufen alle Kolleginnen und Kollegen auf: Meldet euch zu Wort. Sucht die Bundestagsabge­ordneten – vor allem die der SPD – auf und heim und sagt ih­nen klipp und klar, dass wir keine Privatisierung wollen und dass der TRANSNET-Vorstand in dieser ganz entscheidenden Fra­ge nicht in unserem Na­men spricht.

Es ist erfreulich, dass sich in der SPD-Fraktion jetzt starker Widerspruch gegen die geplante Privatisie­rung zu Wort meldet. Weniger erfreulich ist es aller­dings, dass TRANSNET und an­dere Bahn-Gewerk­schaften die Privatisierung propagieren und nicht einmal den Kontakt, ge­schweige denn einen Schul­terschluss mit den Privatisierungskritikern in der SPD suchen. Die vor wenigen Tagen in den TRANS­NET-Medien gemachte Ankündigung, die Politik müsse sich jetzt auch mit Plan B befassen, ist offen­sichtlich nichts anderes als leeres Stroh.

Die Basis aller Gewerkschaften, vor allem die Basis der im Bahnsektor tätigen Gewerkschaf­ten TRANS­NET, GDBA, GDL, IG Metall, ver.di und NGG, muss jetzt zusammenstehen und ge­meinsam die Stimme erheben. Wir müssen die Zukunft selbst gestalten und dürfen sie nicht den Privatisierungsgewinnlern des BDI oder den Finanzinvestoren aus Asien, Russ­land oder Nordmerika und ihren Propagandis­ten überlassen.

Tragen wir den Protest auf die Straße. Diese De­monstration war ein hervorragender Anfang und ein weiterer Baustein einer breiten Aktionswelle. Es steht viel auf dem Spiel und es ist viel zu erreichen.

www.bahnvonunten.de   -  www.bahn-fuer-alle.de

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