Französisch lernen:
Gemeinsamer Streik der französischen Bahngewerkschaften

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Anders als ihre deutschen Partnerorganisationen können sich die französischen Bahngewerkschaften immer wieder auf ein gemeinsames Vorgehen gegen Soziallabbau und Privatisierung einigen. Für Donnerstag, 18. Oktober 2007, rufen sie zusammen mit Beschäftigten anderer öffentlicher Betriebe zum landesweiten Streik auf. Ein Gespräch mit Christian Joncret, internationaler Sekretär der einflussreichsten Bahngewerkschaft CGT-Cheminots, der Bruderorganisation der deutschen TRANSNET.

Was treibt die französischen Eisenbahner am 18. Oktober in großer Zahl auf die Straße?

Es geht um die Verteidigung von Arbeitnehmerrechten, Streikrecht, Arbeitszeiten und Krankenversicherung. Wir wehren uns gegen die drohende Anhebung des Rentenalters, Rentenkürzungen und eine Ausplünderung der Eisenbahner-Pensionskassen. In den letzten Jahren haben sich die Arbeitsbedingungen und die psychische Belastung im Alltag durch Wechseldienst und Personalabbau verschlechtert. Ältere Lokführer etwa, die beim jährlichen Gesundheitscheck für das Fahrpersonal durchrasseln, müssten Degradierung, Abstufung und Verlust ihres Status befürchten, wenn die Möglichkeit der Frühverrentung beseitigt würde. Wir wollen die für den öffentlichen Dienst gültigen Beschäftigungsbedingungen für alle Eisenbahner erhalten.

1995 lösten Pläne der Regierung Juppé einen wochenlangen Eisenbahnerstreik und die legendären „französischen Verhältnisse“ aus. Juppés damalige Staatssekretärin Anne-Marie Idrac ist heute Chefin der Staatsbahn SNCF.

Frau Idrac will jetzt explizit dem angeblichen „Vorbild“ der deutschen DB-Güterbahn Railion folgen und propagiert eine rein betriebswirtschaftliche Strategie der Konzentration auf den Güterfernverkehr und das Großkundengeschäft und ein Ende des Einzelwagenverkehrs. Sie plant die Aufgabe von 262 Güterbahnhöfen und den Rückzug aus der Fläche. Auch dagegen protestieren wir am 18. Oktober. Über 20.000 Eisenbahner sind allein im Güterverkehr beschäftigt.

Frau Idrac und Präsident Sarkozy reden über den Klimaschutz und verlagern immer mehr Güterverkehr auf die Straße. Der Zuwachs im Straßengüterverkehr seit 2004 entspricht einer Zunahme um 1,5 Millionen Lkw. Zwar werden die Hochgeschwindigkeitsstrecken für den Schienenpersonenfernverkehr ausgebaut, aber der Gesamtzustand des Netzes in der Fläche ist nicht gut.

Es wird behauptet, Privatisierung und Liberalisierung und ein Aufbrechen der Staatsbahnen könnten mehr Verkehr auf die Schiene bringen. Teilen Sie diese Ansicht?

Nein. Bei der Liberalisierung der letzten Jahre in Großbritannien, Deutschland oder Italien ist in keinem Fall etwas Positives für die Beschäftigten, die Arbeits- und Sozialbedingungen herausgekommen. Der Schienenverkehr hat damit auch nicht die an die Straße verlorenen Marktanteile zurückerobert. Man redet von intermodaler Zusammenarbeit der Verkehrsträger, aber es herrscht Konkurrenz statt Kooperation und durch die Liberalisierung ist die intermodale Zusammenarbeit weiter entfernt denn je. Nach der ganzen Welle der Liberalisierung in Europa fordern die Gewerkschaften in der Europäischen Transportarbeiterförderation (ETF) eine objektive wirtschaftliche und soziale Bilanzierung.

Nun haben die europäischen Bahngewerkschaften die Verabschiedung des 3. Eisenbahnpakets und somit eine weitere europaweite Liberalisierung nicht verhindern können – anders als die Hafenarbeiter, die erfolgreich Druck auf das EU-Parlament ausübten.

Das ist ein gutes Beispiel. Die Hafenarbeiter waren über die ETF europaweit gut koordiniert und konnten das Liberalisierungspaket Port Package II verhindern. Bei den Bahnen konnten wir die im 3. Paket vorgesehene Liberalisierung ab 2010 bisher leider nicht verhindern. Immerhin konnten wir den Prozess etwas abbremsen und einige soziale Mindestbedingungen einbringen. Die Liberalisierung des Regionalverkehrs liegt noch in der Entscheidungskompetenz der einzelnen Staaten ist noch nicht zwingend vorgeschrieben. Niemand kann sich also hinter „Brüssel“ verstecken.

Der Bundesverkehrsminister beteuert, er wolle „nur“ 49 Prozent der Bahnaktien verkaufen. Welche Erfahrungen hat man in Frankreich mit Teilprivatisierungen gemacht?

Beim Börsengang der France Telecom hieß es, der Staatsanteil würde nie unter 70 Prozent sinken. Heute sind es unter 50 Prozent und die sozialen Bedingungen haben sich verschlechtert. Beim Gasversorger Gaz de France hatte Sarkozy versprochen, dass der Staat 75 % der Anteile hält. Jetzt sind wir bei 33% angelangt. Auf Sozialtarife werden die Privaten keine Rücksicht mehr nehmen. In England sind die Fahrpreise in den Privatbahnen europaweit mit am höchsten.

In Deutschland machen Lokführerstreiks Schlagzeilen. Auch in Frankreich konkurrieren Sie mit einer Lokführer-Berufsgewerkschaft.

Die CGT will alle Eisenbahner vertreten und nicht nur eine Gruppe. Wir kämpfen gegen Privatisierung, für die Beibehaltung der Tarifverträge und den Verbleib im öffentlichen Dienst. Für einen reibungslosen Betriebsablauf braucht man nicht nur Lokführer, sondern alle Eisenbahner. Es nützt auch nichts, separate Gewerkschaften für den Vertrieb oder die Stellwerke zu gründen.

Interview: Hans-Gerd Öfinger

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