Vor dem Hamburger Parteitag:
Wie hält es die SPD mit der Bahnprivatisierung?

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Es rumort gewaltig in der SPD. Könnte die Abstimmung über die Bahnprivatisierung beim bevorstehenden Hamburger SPD-Bundesparteitag zum „Blitzableiter“ für eine SPD-Basis werden, der die Parteiführung in den letzten Jahren mit Hartz-Gesetzen, Rente 67, Unternehmenssteuerreform und Gesundheitsreform viele Kröten zugemutet hat? Insider vermuten, dass eine zum Abnicken des Afghanistan-Einsatzes genötigte SPD-Basis wenigstens mit einem „Nein“ zur Kapitalprivatisierung der Deutschen Bahn den Oberen zeigen will, dass sie nicht alles mit sich machen lässt.

Wenn die Delegierten zum Hamburger Parteitag in diesen Tagen das dicke Antragsbuch studieren, werden sie darin über ein Dutzend unterschiedliche Anträge von Arbeitsgemeinschaften und Untergliederungen vorfinden, die sich gegen den von Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee vorangetriebenen Bahn-Börsengang aussprechen. Neben Ortsvereinen wie Kaarst, Wurmlingen oder Halle-Nordost gehören zu den Antragsstellern auch die bedeutenden Bundesarbeitsgemeinschaften der Jungsozialisten und der Partei-Senioren (60plus). Diese Anträge sind nur die Spitze des Eisbergs, denn längst nicht alle der über 10 Landesverbände, die laut Juso-Chef Björn Böhning Nein zur Bahnprivatisierung sagen, haben ihre Beschlüsse tatsächlich als Antrag weitergeleitet. Unter den Antragsstellern findet sich auch der Unterbezirk Dortmund, der lange als „Herzkammer der Sozialdemokratie“ gegolten hatte. Dessen Bundestagsabgeordneter Marco Bülow hat jetzt nach Angaben des SZ-Magazins beschlossen, sich künftig bei Parlamentsentscheidungen nicht mehr ausschließlich der Fraktionsmehrheit zu fügen, sondern „die Meinung meiner Basis, meines Wahlkreises und meine Überzeugung“ mindestens ebenso wichtig zu nehmen, denn die Große Koalition sei „auf dem falschen Weg“.

„80 Prozent dagegen“

Die Welle von Beschlussfassungen an der SPD-Basis gegen das anstehende Mega-Privatisierungsprojekt kommt nicht von ungefähr. „Wenn die SPD-Basis zur Sache befragt würde, dann wären 80 Prozent dagegen“, schätzt ein Insider aus der SPD-Zentrale die Stimmung ein. „Deutschland rückt nach links“, meldete Die Zeit Anfang August 2007 und wies darauf hin, dass zwei Drittel der Gesamtbevölkerung und 72 Prozent der SPD-Anhängerschaft Einrichtungen wie Bahn, Telekom oder Energieversorgung in Staatshänden sehen wollen. Bereits in wenigen Tagen haben sich über 1000 „Sozialdemokraten gegen die Bahnprivatisierung“ online auf der Plattform der Privatisierungsgegner www.deinebahn.de eingetragen.

Doch anstatt die Stimmung der Basis aufzugreifen und – wie vom Landesverband Bayern gefordert – ein Moratorium bis 2010 zu nutzen, um ein Gutachten über die Weiterentwicklung einer optimierten öffentlichen Bahn breit zu diskutieren, drücken die Protagonisten des Börsengangs auf die Tube. In diesen Tagen veranstalten der Bundesverkehrsminister und zahlreiche Wahlkreisabgeordnete Info-Veranstaltungen, bei denen sie der verunsicherten Basis die vermeintlichen Segnungen der Teilprivatisierung vermitteln wollen. Das Instrument der Mitgliederbefragung zu wichtigen Sach- und Personalentscheidungen, das ein ratloser Parteivorstand 1993 nach dem Rücktritt des SPD-Vorsitzenden Björn Engholm eingeführt hatte, wird spätestens seit der Ära Schröder nicht mehr eingesetzt, obwohl es in dieser Frage eigentlich nahe liegend wäre.

Akteure der Privatisierung wie Tiefensee und SPD-Fraktionschef Struck wollen den Börsengang im Schulterschluss mit DB-Chef Mehdorn durchziehen. „Und wenn der SPD-Parteitag Nein sagt?“, fragte ARD-Talkmasterin Anne Will den Bahnchef am vorletzten Sonntag. Der antwortete kurz und knapp – ganz  im Stile der früheren Londoner Regierungschefin Margaret Thatcher – dass es zu seinem Weg „keine Alternative“ gebe.

Volksaktien als Kompromiss?

Unterdessen versuchen sozialdemokratische Regisseure jetzt den Parteitagsdelegierten Angst vor einer drohenden öffentlichen „Demontage“ des Bundesverkehrsministers einzujagen und sie damit loyal und gefügig zu machen. In diesem Sinne ist auch der Abgeordnete Hermann Scheer, der vor einem Jahr als Motor einer privatisierungskritischen Opposition in der Bundestagsfraktion in Erscheinung getreten war, zum „Brückenbauer“ mutiert, der mit seinem „Volksaktien“-Modell zwischen Befürwortern und Gegnern einer Privatisierung vermitteln will. Eine Kommission des Parteivorstands, der Scheer ebenso angehört wie der Privatisierungsbefürworter und Transnet-Vorsitzende Norbert Hansen, soll dem Vernehmen nach jetzt einen mehrheitsfähigen Kompromissantrag für den Hamburger Kongress ausloten.

Mit seinem Schwenk hatte sich Scheer, der inzwischen ein Ministeramt in Hessen anstrebt, die scharfe Kritik bisheriger Mitstreiter und ehemaliger Parlamentarier wie Peter Conradi und Liesel Hartenstein eingehandelt, die von derartigen Kompromissen nichts wissen wollen. Auch der SPD-Verband in Scheers Wahlkreis Rems-Murr bei Stuttgart ist in Hamburg mit einem Antrag zur Sache vertreten und will die DB weiter in vollständigem staatlichem Eigentum sehen. Ob Scheer, der letzten Donnerstag in der ARD-Sendung Kontraste plötzlich wieder als „Hardliner“ gegen die Privatisierung und die Fraktionsspitze in Erscheinung trat, in Hamburg als Ehrenretter für Tiefensee wirkt, wird sich nächste Woche zeigen.

Hans-Gerd Öfinger, 15.10.07