Weder Fisch noch Fleisch
TRANSNET-Gewerkschaftstag debattiert Börsengang -
aber nur kurz!




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Dass die aktuelle Wirtschaftskrise auch bei der Deutschen Bahn scharfe Konflikte auslöst, machte TRANSNET-Vizechef Wolfgang Zell auf dem TRANSNET-Gewerkschaftstag deutlich, der am Donnerstag zu Ende ging. Er bezeichnete Meldungen über eine vorübergehende Schließung von Rangierbahnhöfen im Dezember und Januar als „Horroszenario“, mit dem die Gewerkschaft weichgeklopft werden solle. „Wir lassen uns nicht einschüchtern“ , erklärte Zell. Die Arbeitgeberseite wisse, „dass wir es ernst meinen“. TRANSNET fordert eine Einkommenserhöhung von 10 Prozent für die Bahner.

In ihrem Bemühen um einen Neuanfang nach dem Abgang des langjährigen Chefs und heutigen Bahnvorstands Norbert Hansen, dessen Schmusekurs gegenüber Bahnchef Mehdorn auf Kritik gestoßen war, vermeidet die TRANSNET-Führung allerdings ein grundsätzliches „Nein“ zum Bahn-Börsengang.

Dies wurde am Donnerstag deutlich, als kurz vor Schluss noch zwei Initiativanträge zur Kapitalprivatisierung der Deutschen Bahn AG auf der Tagesordnung standen. Der von dem Berliner Delegierten Eberhard Podzuweit eingebrachte Initiativantrag Nr. 1 war vom geschäftsführenden Vorstand an einigen Stellen verändert und nach Ansicht mancher Delegierter „weichgespült“ worden. Er wurde in der Neufassung angenommen.

In seinem Redebeitrag erinnerte Podzuweit an die Aussage des neuen Gewerkschaftschefs Alexander Kirchner, „dass über deutsche Arbeitsplätze auch in Deutschland entschieden werden müsse“. Diese Aussage schließt nach allgemeiner Lesart eine Zustimmung zum Verkauf von DB-Anteilen an russische, chinesische oder arabische Staatsfonds aus, wie er von DB-Chef Hartmut Mehdorn angestrebt wird. Wichtig sei, dass nicht Aktionäre aus aller Welt Dividende abzögen, sondern mögliche Überschüsse wieder ausschließlich in die Bahn investiert würden, so Podzuweit. Er forderte eine breite Diskussion mit allen Mitgliedern und eine Veröffentlichung möglicher Alternativvorschläge in den gewerkschaftseigenen Medien. Dabei müssten auch reale Erfahrungen mit der Bahnprivatisierung in England oder Neuseeland berücksichtigt werden und verbindliche Entscheidungen basisdemokratisch und notfalls auch per Mitgliedervotum gefällt werden.

Der Gewerkschaftstag beschloss, „dass sich die TRANSNET mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln und auf allen politischen Ebenen, insbesondere bei Zustandekommen neuer politischer Machtverhältnisse, deutlich gegen voreilige (aufgrund der Finanzkrise) Privatisierungsschritte stellt“. Ein mögliches Gesamtkonzept solle in der Mitgliedschaft, in den Ortsverwaltungen und Bezirken diskutiert und aufgrund dieser Diskussion im Beirat der Gewerkschaft beschlossen werden. Darüber hinaus heißt es in dem Papier, „dass weder Grundgesetz noch Europäisches Recht juristisch dazu zwingen, die Kapital- bzw. Börsenfähigkeit in den Vordergrund aller Überlegungen zu stellen“. Zumindest der letzte Satz ist eine Abkehr vom bisher in TRANSNET üblichen Totschlagsargument, dass Europarecht Privatisierung verbindlich vorschreibe.

Ein schriftlicher Zusatzantrag, der eine gleichberechtigte Diskussion mit allen Mitgliedern über einen Börsengangs und die Einrichtung einer Kommission zur Aufarbeitung von Bahnprivatisierungen und direkte Kontaktaufnahme zu den betroffenen Brudergewerkschaften in aller Welt fordert, wurde nach einer Intervention von Gewerkschaftschef Kirchner abgelehnt.

Auch mit der Ablehnung des weitergehenden börsenkritischen Initiativantrags Nr. 2 folgte die Mehrheit im Saale dem Rat Kirchners, der in diese Debatte mehrfach eingriff. „Zerschlagung und Ausverkauf unserer Bahn haben längst begonnen“, erklärte Antragssteller Alfred Lange und erinnerte die Delegierten daran, dass sie zu Beginn der Woche den privatisierungskritischen Aussagen der Vertreter von DGB und Europäischer Transportarbeiterförderation Beifall gespendet hätten. Die Zeit von Wischiwaschi-Beschlüssen sei endgültig vorbei, mahnte Lange: „Unsere Mitglieder sind gegen den Börsengang. Sie warten hier und heute auf Signal von uns, von der größten und kompetentesten Bahngewerkschaft“.

Für die Antragskommission empfahl Peter Nowack Ablehnung, weil eine solche Beschlussfassung einem „ergebnisoffenen Diskussionsprozess“ widerspräche.

Dieser Diskussionsprozess wurde jedoch im Saale per Antrag auf Abbruch der Debatte rasch beendet. „Die Diskussionskultur war enttäuschend“, brachte es der Delegierte Uwe Larsen Röver aus Halle auf den Punkt, der als nächster auf der Rednerliste stand und nicht mehr zu Wort kam.


Hans-Gerd Öfinger, 27.11.2008

TRANSNET-Gewerkschaftstag 2008

Initiativantrag Nr. 2


Der 18. Ordentliche Gewerkschaftstag der TRANSNET möge beschließen:

Keine Bahnprivatisierung - Sofortiger Stopp aller Verkaufsverhandlungen – Die Zeiten ändern sich, der Auftrag bleibt: Erhalt des integrierten Bahnkonzerns!


Der 18. Ordentliche Gewerkschaftstag der TRANSNET lehnt die Kapitalprivati­sierung der Deutsche Bahn AG ab und schließt sich den entsprechenden Beschlüssen des DGB vom Frühjahr 2007 an. Alle Aktivitäten in Richtung Kapitalprivatisierung, in welcher Form auch immer, müssen sowohl vom Vorstand der DB AG wie auch von Seiten des Bundes als Eigentümer sofort eingestellt werden.

Die DB AG muss als voll­ständig im öffentlichen Eigentum stehendes integriertes Bahn- und Logistikunter­nehmen erhalten bleiben. Der Schwerpunkt der Unternehmenspolitik ist zukünftig auf die Sicherung und Verbesserung der Qualität der Transportleistungen insbesondere auf der Schiene, die Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen und die Verbesse­rung der Arbeits- und Entlohnungsbedingungen zu richten. Dem gegenüber gefähr­den hohe Dividendenzahlungen an private Anteilseigner die weitere Entwicklung und die Qualität der Leistungen der DB AG und setzen akut Arbeitsplätze auf das Spiel.

Der Gewerkschaftstag fordert den Hauptvorstand, den Geschäftsführenden Vorstand und die Mitglieder in den Aufsichtsräten des DB-Konzerns auf, alles zu unternehmen, um diese Forderungen umzusetzen.

Statt dauerhaft in einen Abwehrkampf zu geraten, müssen wir das Steuer jetzt herumreißen und die Weichenstellung in Richtung Privatisierung verhindern. Noch ist es nicht zu spät, die Finanzmarktkrise hat uns eine Atempause verschafft. Diese müssen wir jetzt entschlossen nutzen.


Begründung:

Die Gewerkschaft TRANSNET hat in mehreren Beschlüssen ihre Unterstützung der Bahnprivatisierung unter den Vorbehalt des Erhalts des integrierten Bahnkonzerns gestellt. Dieser Erhalt kann mit der nun angestrebten Privatisierung unter dem Holdingmodell mit der Trennung des Transport- und Infrastrukturbereichs nicht mehr gewährleistet werden. Die Zeiten ändern sich, der Auftrag bleibt. Gerade gegenüber den jüngeren Kolleginnen und Kollegen bei der Bahn ist eine Aufspaltung der Bahn nicht zu verantworten. Die Jugend ist auch die Zukunft der Gewerkschaft.

Schon heute feiert die FDP als prominenteste Verfechterin der Trennung das jetzt umgesetzte Holdingmodell als Einstieg in die Trennung. Das Holdingmodell ist kein stabiles Modell. Die Interessen der privati­sierten Transportbereiche und der weiterhin öffentlichen Infrastrukturbereiche sind widersprüchlich. Haben die Transportbereiche das Interesse an niedrigen Trassenpreisen, so hat der Infrastrukturbereich genau das gegensätzliche Interesse, um seine Kosten zu finanzieren. Die gemeinsame Besetzung der Vorstände der beiden DB-Konzernteile ist am politischen Widerstand der Trennungsbefürworter gescheitert. Die jetzige gemeinsame Besetzung der Funktion des Vorstands­vorsitzenden und des Finanzchefs ist nur ein Übergangsmodell und jederzeit im Aufsichtsrat gegen die Stimmen der Arbeitnehmervertreter durchsetzbar. Deshalb muss Plan B nun greifen, der Plan Bund, um eine Aufspaltung des DB-Konzerns zu verhindern. Dies bedeutet, dass die Bahn im vollständigen öffentlichen Eigentum als integriertes Unternehmen verbleiben muss.

Über 70% der Bevölkerung in Deutschland ist, wie mehrere Umfragen seit Jahren immer wieder bestätigen, gegen die Privatisierung der Bahn. Auch der überwiegende Teil der Beschäftigten der Bahn lehnt die Privatisierung ab. Als Gewerkschaft TRANSNET haben wir die Aufgabe, den Beschäftigten eine Stimme zu geben. Wir müssen dabei die Interessen aller Berufs- und Beschäftigtengruppen berück­sichtigen. Wir sind die größte Gewerkschaft im Bereich der Eisenbahnen in Deutschland und wollen dies bleiben. Dafür brauchen wir eine klare Orientierung. Eine privatisierte Bahn wird dauerhaft die Arbeits- und Lebensbedingungen der Beschäftigten unter Druck setzen. Schon jetzt ist in Vorbereitung auf die Kapitalprivatisierung eine starke Zunahme prekärer Beschäftigungsverhältnisse bei der Bahn festzustellen, wie Leiharbeit, weiterer Personalabbau, Outsourcing und die angedrohte Gründung von 30 „Billig-Tochterunternehmen“ beweisen. Um diese Abwärtsspirale zu beenden, müssen wir die Kapitalprivatisierung der Bahn stoppen. Darüber hinaus brauchen wir eine andere Politik der Aufgabenträger, die die Qualität und nicht das Dumping fördert.

Die Lohn- und Arbeitsbedingungen der Bahnbeschäftigten haben sich seit dem Privatisierungskurs verschlechtert. Unsere tarifpolitischen Forderungen für die nächste Tarifrunde haben deshalb höchste Priorität. Mit einer privatisierten DB AG sind diese Forderungen jedoch nicht umzusetzen. Nach bisher unveröffentlichten Zahlen stellen die Banken, die mit der Privatisierung beauftragt wurden, folgendes Potenzial für Dividendenzahlungen gegenüber privaten Anteilseignern dar:

2009: 581 bis 583 Millionen Euro

2010: 604 bis 613 Millionen Euro

2011: 673 Millionen Euro

2012: 746 Millionen Euro

(Quelle: Goldman Sachs Global Investment Research, für 2009 und 2010 auch Dresdner Kleinwort)

Bezogen auf das Jahr 2009 entsprechen diese Dividendenzahlungen 10% der Lohn- und Gehaltssumme des DB Konzerns. Dieser Anteil soll in den Folgejahren steigen. Für die Verbesserung der Entgelt- und Arbeitsbedingungen im Sinne unserer Tarifforde­rungen bleibt bei einer Kapitalprivatisierung also kein Spielraum mehr. Eine Zustimmung zur Kapitalprivatisierung käme deshalb einer Absage unserer berechtigten, in zahlreichen Tarifdialogen ausgearbeiteten, Tarifforderungen gleich!

Die aktuellen gravierenden Qualitätsprobleme bei den ICE-Achsen, die angestrebte Servicegebühr, die Boni-Affäre und die überzogenen Bezüge und Gehaltssteige­rungen für das Bahnmanagement haben aktuell das Ansehen der Bahn stark abfallen lassen. Die Bahn ist dabei, das Vertrauen ihrer Fahrgäste und Kunden auf das Spiel zu setzen. Nach einer aktuellen Umfrage der Leipziger Volkszeitung (vgl. Ausgabe vom 13.11.08) ist das Vertrauen in die Bahn von 49 auf 20 Prozent in sieben Monaten abgefallen. In den neuen Bundesländern hat nur noch 16 Prozent der Bevölkerung Vertrauen in die Bahn. Aber bereits in früheren Jahren hat die Bahn mit unzureichenden Instandhaltungsmaßnahmen im Netz von sich reden gemacht. Unzureichende Instandhaltungsbudgets und nicht ausreichender Grünschnitt sind seit Jahren ein beredtes Thema von Streckenpersonal und Lokführerinnen und Lokführern.

Alle diese Themen haben auch mit der Bahnprivatisierung zu tun. Um Gelder im Sinne höherer Gewinne einzusparen, werden Revisionsfristen verlängert und Budgets gekürzt, Fahrpersonal unter Druck gesetzt, Servicepersonal abgebaut und Serviceleistungen wie Verkaufsstellen abgeschafft oder versucht, deren Leistungen zu verteuern, um sie später abbauen zu können. Statt sich um die Lösung dieser selbst verschuldeten Probleme zu kümmern, konzentriert sich das Bahnmanagement in ausgedehnten Reisen auf der ganzen Welt auf den Verkauf des Unternehmens. Dieser Unternehmenskurs muss sofort beendet werden, um das Ansehen der Bahn wieder zu steigern. Alles andere ist verantwortungslos.

In einer aktuellen, bisher unveröffentlichten Analyse zum Börsengang der Bahn analysiert die für die Kapitalprivatisierung engagierte Konsortialbank Dresdner Kleinwort die Stärken und Schwächen für die DB AG. Eine gewerkschaftlich organisierte Belegschaft („unionised workforce“) wird dabei als Schwäche („weakness“) für das Unternehmen gewertet (vgl. Dresdner Kleinwort: DB Mobility Logistics, 26. September 2008). Dies zeigt das problematische Verhältnis, das Interessensverwalter privater Anteilseigner zu einer gewerkschaftlich organisierten Belegschaft und zur Arbeitnehmer-Mitbestimmung haben. Dies zeigt, dass eine starke TRANSNET, die wir alle anstreben, im Widerspruch zu einer Kapitalprivatisierung der Bahn steht. Machen wir also unsere angebliche Schwäche zu unserer Stärke, sagen wir „Nein“ zum Börsengang und zur Kapitalprivatisierung der Bahn!