Offener Brief an den Beirat und Hauptvorstand der TRANSNET

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9. November 2007

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

als engagierte TRANSNET-Mitglieder haben auch wir in den letzten Tagen und Wochen die politischen Auseinandersetzungen um eine drohende Kapitalprivatisierung der Deutschen Bahn AG aufmerksam verfolgt. Dabei sind uns mehrere Punkte aufgefallen, aus denen sich dringender Klärungsbedarf ergibt. Insbesondere geht es hier um das Verhalten des Kollegen Norbert Hansen in der Öffentlichkeit.

1.       In der Debatte auf dem Hamburger SPD-Bundesparteitag am 27. Oktober 2007 über die Bahnprivatisierung sprach sich Norbert Hansen für die Annahme eines Antrags des SPD-Parteivorstands zum Einstieg in die Privatisierung über Volksaktien aus. Eine Woche zuvor hatte Norbert die Bundestagsabgeordneten aufgefordert, dem vorliegenden Entwurf der Bundesregierung für ein Privatisierungsgesetz unverzüglich zuzustimmen.
Für diese eigenmächtigen Aussagen hat der Kollege Hansen kein Mandat unserer Gewerkschaft. Es gibt keinen TRANSNET-Beschluss, der grundsätzlich und explizit die Kapitalprivatisierung fordert und die TRANSNET-Repräsentanten ermächtigt, für eine Privatisierung Stimmung zu machen. Der außerordentliche Gewerkschaftstag in Fulda im Juli 2007 hat lediglich Bedingungen und Kriterien aufgelistet für den Fall, dass die Politik unbedingt am Ziel einer Kapitalprivatisierung festhält. Noch Mitte Oktober widersprach TRANSNET vehement den im ZDF-Magazin Frontal21 gemachten Aussagen („TRANSNET unterstützt Mehdorns Börsenkurs“) und erklärte: „TRANSNET hat nie den Börsengang öffentlich vertreten, sondern hat ihre kritisch-konstruktive Begleitung des Prozesses an konkrete Bedingungen geknüpft.“
Die offene Propagierung der Privatisierung durch Norbert Hansen liegt nicht im Mitgliederinteresse, zumal noch vor wenigen Tagen in TRANSNET-Publikationen zu Recht vor den negativen Folgen eines Renditedrucks durch „Volksaktien“ gewarnt wurde.
Beim Hamburger SPD-Parteitag war zudem eine klare Beschlussfassung gegen jede Form von Privatisierung und Zerschlagung unserer Bahn in greifbare Nähe gerückt, nachdem 11 von 16 SPD-Landesverbänden dies so gefordert hatten. Hätte sich der TRANSNET-Vorsitzende in dieser Debatte klar auf die Seite der Privatisierungsgegner gestellt, dann hätte der SPD-Parteivorstand ein unzweideutiges Nein zur Kapitalprivatisierung schwerlich verhindern können.

2.       Der Gewerkschaftstag in Fulda hat sich ausdrücklich gegen eine Zerschlagung des Bahnkonzerns und den Verkauf einzelner Tochterbetriebe ausgesprochen. Dessen ungeachtet wurde die scheibchenweise Zerschlagung unserer Bahn in den letzten Monaten munter fortgesetzt und hat der DB-Aufsichtsrat offenbar den Verkauf der Scandlines und der DB-Immobilientochter Aurelis bestätigt. Wir haben Grund zur Annahme, dass der Kollege Hansen und die anderen TRANSNET-Mitglieder im DB-Aufsichtsrat diese Verkäufe – wie schon andere Veräußerungen zuvor – befürwortet haben. Dies ist ein glatter Verstoß gegen den Fuldaer Beschluss. Nehmen wir einmal an – wofür es keine Hinweise gibt – die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat hätten konsequent „Nein“ gesagt und die Vertreter des Anteilseigners (darunter die direkten Vertreter der Bundesregierung) hätten die Arbeitnehmerbank mit dem doppelten Stimmrecht des Aufsichtsratsvorsitzenden Werner Müller niedergestimmt. Dann hätte der Kollege Hansen auf dem Hamburger Parteitag wie schon auf dem Gewerkschaftstag in Fulda niemals die Behauptung aufstellen dürfen, die SPD und ihr Verkehrsminister Wolfgang Tiefensee stünden konsequent für den Erhalt eines integrierten Bahnkonzerns. Denn seit Jahren stimmen die Vertreter der SPD-geführten Bundesministerien für Verkehr und der Finanzen im DB-Aufsichtsrat ganz offensichtlich für einen Teilverkauf nach dem anderen und damit für die schrittweise Zerfledderung des DB-Konzerns.

3.       Die Aussage von Norbert Hansen, dass eine rasche Verabschiedung des Gesetzentwurfs die einzige historische Chance wäre, um eine Zerschlagung der Bahn zu verhindern, stimmt nicht! Die Tatsachen sprechen eine andere Sprache. Denn laut Gesetzentwurf der Bundesregierung soll die Infrastruktur juristisches Eigentum des Bundes bleiben und von der zu privatisierenden DB AG wirtschaftlich bilanziert werden. Dem Bund soll die Möglichkeit eingeräumt werden, nach 15 Jahren die Infrastruktur, die ihm juristisch schon gehört, für teures Geld von der privatisierten AG wieder „zurückzukaufen“. Was ist das alles – wenn nicht eine weitere Zerschlagung der integrierten Bahn?

4.       Als Reaktion auf den jüngsten SPD-Beschluss für ein „Volksaktienmodell“ haben konservative Politiker und Medien jetzt verstärkt die Trennung von Netz und Betrieb gefordert. Darauf kann und muss es nur eine konsequente und sofortige Antwort unserer TRANSNET geben: „Plan B“ (Bahn bleibt beim Bund!). Dies wurde schon früher mehrfach vorgeschlagen – ohne Folgen. Jetzt müssen Taten folgen. Nicht erst nach der nächsten Bundestagswahl, sondern schon hier und heute ist die schleichende Zerschlagung unserer Bahn im Gange. Beirat und Hauptvorstand müssen sich ab sofort eindeutig positionieren und mobilisieren.

5.       Der Kollege Norbert Hansen hat mit seinen o.g. öffentlichen Auftritten und eindeutigen Aussagen pro Privatisierung den Interessen unserer Gewerkschaft und aller EisenbahnerInnen massiv geschadet. Norbert Hansen hat sich eigenmächtig und eindeutig über die Positionen und Beschlusslage unserer TRANSNET hinweggesetzt. Dies widerspricht dem gewerkschaftlichen Selbstverständnis. Wir fordern Beirat und Hauptvorstand auf dafür Sorge zu tragen, dass die Gewerkschaft ab sofort gemeinsam mit dem DGB und dem Bündnis Bahn für Alle für „Plan B“ (Bahn bleibt vollständig beim Bund) eintritt. Norbert Hansen hat die politischen und persönlichen Konsequenzen zu ziehen und zurückzutreten.

Mit kollegialen Grüßen

Für die Initiative Bahn von unten
Volker Blaschke, Genoveva Brandenburger, Kerstin Fürst, Frank Janouschek, Alfred Lange, Bernd Mattern, Peter Polke, Hans-Dietrich Springhorn, Frank Zander

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